Kunst zeigen, wie sie ist

Die Kasseler documenta 8 soll eine klassische Ausstellung werden, die die Kunst der 80er Jahre „ernst nimmt und zeigt, wie sie ist.“ Sie wird „neue Energien und Strategien“, die seit der letzten documenta sichtbar wurden, aufnehmen und soll dabei der Kunst über die Grenzen folgen, indem sie Architektur und Design einschließt. Das kündigte gestern der künstlerische Leiter der documenta, Manfred Schneckenburger, bei seiner ersten Pressekonferenz für die Ausstellung an, die vom 12. Juni bis 20. September 1987 in Kassel im Museum Fridericianum, in der Orangerie und auf innerstädtischen Plätzen stattfinden soll.

Schneckenburger folgte damit bei der Vorstellung seines Konzeptes dem Beispiel seines Vorgängers Rudi Fuchs, der ebenfalls acht Monate vor dem Ausstellungsauftakt sich weder auf Theorien noch Stilbegriffe oder Namenslisten eingelassen hatte. Nur setzte er an die Stelle einer poetisch schlichten Sprache ganze Wolkengebirge pathetischer Begriffe.

Insgesamt berief sich Schneckenburger überraschend oft auf Fuchs und beschrieb die geplante Ausstellung als einen durchgehenden Erlebnisraum, in dem sich aus der Nachbarschaft der Beiträge Kraftfelder ergeben sollen. Das heißt konkret: Die documenta 8 wird sich nicht in Abteilungen (Plastik, Malerei, Video) gliedern; sie wird auch nicht stilistische Abgrenzungen vornehmen; vielmehr will sie sich ganz in den Dienst der einzelnen Werke (Räume) stellen. Die Kunst soll also keine Theorie illustrieren, sondern soll sich frei entfalten können.

Für Schneckenburger sind die 80er Jahre nicht stilschöpfend: „Wir suchen nicht nach Stilen. Wenn wir welche suchen würden, würden wir keine finden“. So hat sich der Macher der documenta 6 und der documenta 8 auf die Formel „die Kunst nach Beuys und neben Baselitz“ eingeschworen und sich damit den Bezugsrahmen offengehalten. Trotzdem ist die Tendenz klar: In den Mittelpunkt rücken die plastischen Arbeiten, die Rauminstallationen und die grenzüberschreitenden Arbeiten aus Architektur und Design. Schneckenburger bleibt damit nicht nur seinen bisherigen Ankündigungen treu, sondern er folgt auch einem Trend, der im Ausstellungsbetrieb der letzten zwei, drei Jahre sichtbar wurde.

Der Verzicht auf Abteilungen schließt aber nicht die Absage an eine Gliederung ein. So soll das Museum Fridericianum die „emotionell und intellektuell schwergewichtigen Werke“ aufnehmen, in denen Themen wie Großstadt, Gewalt, Medien- und Zeitkritik verdichtet werden. Bewährte documenta-Künstler wie Beuys, Kiefer, Longo und Morris sollen da neben jüngeren Künstlern wie Antony Gormley, Astrid Klein, Marie-Jo Lafontaine und Nechvatal zu finden sein.

Der „starken Emotion“ im Fridericianum soll der „Esprit“, also das Heitere, Leichtere und Spielerische, in der Orangerie gegenüberstehen. Hier soll es Brückenschläge zwischen Kunst und Architektur sowie Design geben. Unter den etwa 150 eingeladenen Künstlern („Wir hoffen, daß wir diese obere Grenze halten können“) sollen etwa ein Dutzend Architekten und 15 bis 20 Designer sein. Die Architekten, nach Schneckenburger allesamt prominente Museumserbauer, sollen in jeweils eigenen Räumen ihr Idealmuseum als Realinszenierung vorstellen können. Die Designer sollen Rauminstallationen sowie solche Prototypen für Möbel, Beleuchtung und Armatur zeigen können, die in Beziehung zur zeitgenössischen Skulptur stehen. Dabei möchte Schneckenburger so oft wie möglich Arbeiten zeigen, die auch benutzbar sind (Verkaufsstand, Wärterstuhl und Beleuchtung auf dem Weg zur Orangerie).

Mit dieser Planung hat Schneckenburger seine zentrale Idee angerissen: Die Kunst der mittleren 80er Jahre sei nicht mehr selbstbezogen, sondern suche die soziale Dimension, die Funktion. Man kann es auch anders herum ausdrücken: Schneckenburger konzentriert sich auf die Kunst, die sich am Funktionalen reibt und den sozialen Bezug herstellt. Die Annäherung an Architektur und Design spricht ebenso dafür wie die Präsentation von Arbeiten, die sich mit Gewalt und Zeitkritik beschäftigen.

Weithin sichtbar werden soll dieser Ansatz in der Außenskulptur. Die für die Kasseler Innenstadt gedachten Arbeiten sollen unmittelbar auf Schwachstellen und Fehlentwicklungen in der Stadtstruktur reagieren. Hier wurde er auch am konkretesten: Zur Pressekonferenz wurde ein Innenstadtplan vorgelegt, auf dem bereits 18 Skulptur-Standorte (darunter Beiträge von Trakas, Serra, Rückriem, Burton und Brummack) verzeichnet sind. In einem Glaspavillon auf der Wiese der Karlsaue sollen die Entwurfszeichnungen für diese Arbeiten zu sehen sein.

Die documenta 8 wird aber auch noch andere Bereiche einschließen: Erstmals ist es gelungen, eine enge Zusammenarbeit mit dem Staatstheater zu arrangieren
das den Beginn seiner Theaterferien um drei Wochen verschiebt und zur Eröffnung ein zehntägiges Theaterfestival veranstaltet. Außerdem wird ein Performance-Programm (in sechs Blöcken) eine Brücke zwischen Kunst und Theater schlagen. Die Besucher werden darüber hinaus im Fridericianum eine Videothek mit 50 Bändern (Künstler-Videos) sowie eine Audiothek mit Klangwerken finden. Die ARD soll bereit sein, an 13 Sonntagen im Stil ihrer Meisterwerke-Reihe documenta-Beiträge vorzustellen.

Von dem Gesamtetat in Höhe von 7,8 Millionen Mark werden nach Angaben von documenta Geschäftsführer Klaus Angermann zwei Millionen für Personal- und Reisekosten des Teams und seiner Mitarbeiter eingesetzt und weitere zwei Millionen für die Installation der Kunstwerke vor Ort. Eine Besucherschule im Stil von Bazon Brock wird es nicht geben. Stattdessen will Schneckenburger schon im Vorfeld der Ausstellung drei Zeitungen herausbringen, die das interessierte
Publikum auf das Großereignis vorbereiten sollen. Außerdem plant die documenta neben dem dreibändigen Katalog die Herausgabe eines Ausstellungsführers im Taschenbuchformat.

HNA 29. 10. 1986

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