Die documenta 5 in Kassel überraschte vor 15 Jahren damit, daß sie mehr bot als eine starre Ausstellung. Sie präsentierte
sich als ein Kunstereignis, das die 100 Tage hindurch lebendig blieb und in dem immer wieder Künstler durch Aktionen neue Situationen schufen. Das waren keine provozierenden Happenings mehr (wie in den 60er Jahren), sondern wohldurchdachte Aufführungen: James Lee Byars erkletterte schwindelnde Höhen,
um dort zur Standfigur zu erstarren; Ben Vautier war als Denker zu besichtigen; Fritz Schwegler trat sprechend und singend mit seinen Effeschiaden auf; Rebecca Horn, Klaus Rinke und Franz Erhard Walther waren mit Körper-, Zeit- und Raum-Aktionen dabei; und Gilbert & George waren als Neue Plastiken zu besichtigen.
Diese Künstlerauftritte waren schlicht als Aktionen angekündigt. Vito Acconci, Vettor Pisani und Keith Sonnier jedoch traten bereits unter dem Stichwort an, unter dem diese neue Ausdrucksart der Kunst Schule machen sollte – Performance. Unter dem englischen Wort Performance versteht man eine Aufführung oder Darstellung. Damit baut der Begriff die Brücke von der statischen bildenden Kunst zum Theater.
Aus der Wechselwirkung von Kunst, Aktion und experimentellern Theater blühte in den 70er Jahren die Performance als eine selbständige Kunstform so stark auf, daß die documenta 6 im Jahre 1977 ihr eine eigene Abteilung widmete. Im selben Jahr stellte auch die Kritikerin Elisabeth Jappe für den Kölner Kunstmarkt als Rahmenprogramm erstmals eine Serie von Performances zusammen. Elisabeth Jappe, vom experimentellen Theater kommend, war fasziniert von der Verbindung zwischen Kunst und Bühne. Sie gründete Ende 1980 die Performance-Galerie Moltkerei in Köln und wurde folgerichtig von Manfred Schneckenburger in das Team der documenta 8 berufen, um für diese Ausstellung ein internationales Performance-Programm zusammenzustellen.
Zur Eigenart der Performance gehört, daß es Aktionen gibt, die im offenen Raum, vor einem unvorbereiteten Publikum, stattfinden, und daß gleichzeitig Aufführungen in einem hermetisch abgeschlossenen Raum vor einer begrenzten Zuschauerzahl ablaufen können. Die Performance ist eine der offensten Kunstformen, in der oftmals das formuliert wird, was in einem anderen Medium sprachlos bleibt. Für viele Künstler ist die Performance daher nur ein Gestaltungsmittel unter mehreren. Der Schotte Bruce McLean beispielsweise nahm als Performance-Künstler an der documenta 6 teil, trat bei der documenta 7 als ein kräftig-heftiger Maler auf und wird nun bei der documenta 8 wiederum mit einer Performance dabei sein.
Während vor zehn Jahren noch die Performance relativ klar eingrenzbar gewesen sei, meint Elisabeth Jappe, daß das, was heute auf diesem Feld geboten werde, alle Grenzen überschritten habe. Sie spricht von der erweiterten, der Expanded Performance, die auch in außerkünstlerische Bereiche, ins Leben hineinwirke. Allein von daher könne Joseph Beuys mit seinen Aktionen der 60er Jahre als die absolute Vaterfigur für die Performance bezeichnet werden.
Nach Meinung von Frau Jappe trifft das documenta-Konzept, die sozialen Dimensionen in der aktuellen Kunst sichtbar werden zu lassen, genau den heutigen Stand der Performance-Entwicklung: Nur wenige Performance-Künstier arbeiten allein, und nur noch einzelne beschäftigen sich mit rein ästhetischen Fragen. James Lee Byars und Fritz Schwegler, die bereits 1972 in Kassel dabei waren, werden auch in diesem Jahr wieder als Performance-Künstler an der documenta teilnehmen. Mit dabei sind unter anderem auch Allan Kaprow, Ulrike Rosenbach, Lilli Fischer, Joche Gerz, Jürgen Klauke und der Kasseler Jürgen 0. Olbrich.
Insgesamt wird es 45 Performance-Veranstaltungen in sechs Blöcken geben: Ein Eröffnungsfestival (1 2.-1 4.Juni). Expanded Performanc (26.- 28. Juni); Technik und Medien (10.-12. Juli); Körper – Sprache (31. Juli – 2. August); Art Performance (21.- 23. August); Objekt Klang Instrument (11 .- 1 3. September); sowie Schlußveranstaltungen (17.- 20. September). Daneben wird es an den Wochenenden jeweils von Donnerstag bis Sonntag in der Kasseler Café-Disco New York ein Dauer-Performance-Festival geben (La Fète Permanente), bei dem jeweils eine Performance-Gruppe sich und ihr langfristiges Wirken in Aktion, Projektion und Gespräch vorstellt. Ein Programm für Nachtschwärmer.
HNA 18. 3. 1987