Die Kirkeby-Skulptur soll stehen bleiben. Der Künstler willigte in die Verlängerung des Leihvertrages bis 1. 9. 1995 ein. Der Ankauf soll möglichst bald erfolgen.
Der Fall ist allen Beteiligten peinlich. Fieberhaft wird in Kassel und Wiesbaden daran gearbeitet, den sich abzeichnenden Skandal aus der Welt zu schaffen. Ein erster kleiner Erfolg wurde auch erzielt: Der dänische Künstler Per Kirkeby willigte ein, den Leihvertrag für seine hinter der documenta-Halle errichtete Backstein-Skulptur erst einmal bis zum 1. September 1995 zu verlängern. Bis dahin, möglichst aber viel früher, soll eine Einigung mit dem Künstler über die Ankaufssumme erzielt werden. Das Land Hessen ist bereit, wie gestern auf einer documenta-Pressekonferenz im Rathaus mitgeteilt wurde, den ursprünglich diskutierten Betrag von annähernd 100 000 Mark zu zahlen.
In der gestrigen Pressekonferenz wurde deutlich, daß die Brisanz der ganzen Angelegenheit nicht frühzeitig erkannt worden war. Alle Verantwortlichen hätten wissen müssen, daß nach dem Abriß-Skandal der von Kirkeby zur documenta 1982 erbauten Backstein- Skulptur das zehn Jahre später realisierte Projekt mit äußerster Sorgfalt behandelt werden mußte. Es war auch im documenta-Sommer 1992 unumstritten, daß die zweite Kirkeby-Skulptur sozusagen im Zuge der Wiedergutmachung angekauft werden sollte. Die heimische Bauwirtschaft hatte das Material und die Arbeitskraft kostenlos zur Verfügung gestellt.
Es ging also nur um das Honorar. Doch dieses, ursprünglich als Kunst am Bau-Mittel der documenta-Halle veranschlagt und dann gestrichen, wurde einfach vergessen. Heute weiß keiner der Verantwortlichen beim Land und bei der Stadt, wie es dazu kommen konnte. Die einen hatten die
Angelegenheit verdrängt, die anderen hielten sie für erledigt.
Aber erledigt war nichts. Im Gegenteil: Die Bauwirtschaft hatte ihre kostenlose Dienstleistung an die Bedingung geknüpft, daß die Skulptur erhalten bleibe; und nach dem Künstler meldete sich auch dessen Kölner Galerie, die die Honorarforderung von unter 100 000 Mark auf 250 000 Mark schraubte. Jetzt soll versucht werden, eine Einigung auf der Basis der ursprünglichen Summe zu erreichen.
Wahrscheinlich rächt sich nachträglich, daß die Kasseler Stadtspitze sich 1992 im documenta-Überschwang für den Erwerb der Borofsky-Skulptur Man walking to the sky stark machte, ohne zu wissen, ob der Kirkeby-Bau tatsächlich gesichert sei. Sonst hätte man sicherlich nicht leichtfertig Telefonkarten drucken lassen, unter denen auch der Kirkeby-Bau als Motiv für den Himmelsstürmer werben mußte. Aber nicht gegenüber Borofsky waren Stadt und Land in der Pflicht, sondern gegenüber Kirkeby.
HNA 20. 5. 1994