Die Szene ist unvergeßlich: Abseits vom Besucherspektakel in der Kasseler documenta 5 (1972) stößt man in einem stillen Raum auf einen Künstler, der wie ein Rattenfänger mit der Flöte ein paar Zuhörer um sich versammelt hat. Andächtig stehen und sitzen sie da, die Chance zur inneren Ruhe nutzend. Der Künstler spielt kurz auf dem Instrument, um dann im Singsang mit unverkennbar schwäbischem Akzent gedichtartige Texte vorzutragen. Dazu hebt er wie ein Moritatensänger kleine Bildtafeln hoch. Seht die Geschichten!
Die kleinen Bilder von eigentümlich präzisen Gegenständen und Situationen, die sich durch ganz überraschende Weglassungen oder Überspitzungen allen logischen und funktionalen Systemen entziehen, prägten sich spontan ein. Es sind Werke, die keine Unterscheidungen zwischen Bilderrätseln, skurrilen Erfindungen und einer neuen Formsprache zulassen. Und indem man sich auf die beigegebenen Texte einließ und somit Schweglers Effeschiaden voll erfaßte, wurde man in ferne, poetische Welten entführt.
Gefragt, warum er seine Malerei auf diese kleinen Bilder reduziere, meinte Schwegler, er habe daheim das ganze Haus mit Bildern und Objekten angefüllt und sich daher auf diese Form verlegt. Schwegler, mittlerweile seit einigen Jahren Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, gibt nun endlich einen Einblick in die Fülle seiner in 20 Jahren entstandenen Arbeiten. In dem großen Saal des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen (Düsseldorf) sind auf sehr schöne Weise seine Werke gruppiert. Dieser Gesamtüberblick verstärkt nur den Eindruck von dem ganz eigenen Weg, den Schwegler gegangen ist. Dichtung, Malerei und Bildhauerei sind bei ihm eins. Aus der dichten, zugespitzten Malerei entwickeln sich ganz natürlich seine kleinen Objekte, die wiederum vom gleichen Geist sind wie die die Texte, ohne diese bloß zu illustrieren.
Hat man sich einmal auf diese eigenwillige Welt eingelassen, kommt man von ihr nicht mehr los. Doch die Faszination ist nicht von der Art, wie sie die Surrealisten ausstrahlen. Schweglers Werke sind weit stiller, geheimnisvoller und zugleich geradliniger. Vor allem die kleinen Objekte, mal in dunkler Bronze, mal in kräftigen Bilderbuchfarben, dokumentieren, welch enorme Formensprache dieser Künstler-Poet sich erschlossen hat. Manches, was heute als neue Skulptur gefeiert wird, ist hier, fast beiläufig, mit angelegt.
Die Ausstellung umfaßt das gesamte Spektrum: kleine, skizzenhafte Blätter; große Tafeln, in denen Bilder von Texten umrahmt sind und in denen die Malerei stärker in den Vordergrund rückt, massiv gebaute, abstrakte Bilder und Skulpturen, Bild-Text-Fahnen und schließlich die zahlreichen kleinen Objekte.
Außerhalb der Schulen und Stile hat Schwegler für sich selbst und die Kunst eine ganz eigene Sprache erschlossen. Die Frage nach der Avantgarde stellt sich angesichts dieses Werkes nicht.
HNA 20. 12. 1986