Die Grabplatte als Vogeltränke

Für Kassel hat der documenta-Künstler Heinrich Brummack bereits eine liebenswerte Brunnen-Skulptur geschaffen: Auf dem Wehlheider Platz glänzen auf zwei Säulen goldene Birnen, dazwischen „kocht“ aus einem roten Topf das Wasser über. Die Arbeit stellt eine sinnige Verbindung zur bodenständigen Markt- und Küchentradition her und bietet zugleich einen festlichen Rahmen.

Nun will Brummack (Jahrgang 1936) erneut eine Arbeit für Kassel entwerfen, diesmal aber außerhalb der Stadt – für die Künstler-Nekropole im Habichtswald. Es könnte der fünfte Beitrag werden, nachdem Rune Mields, Timm Ulrichs und Fritz Schwegler die ersten Monumente schufen und da in diesen Wochen das Werk von Werner Ruhnau entsteht.

Der Tod macht nachdenklich. Die Aussicht, für sich selbst ein Grabmonument gestalten zu können und dann auch zu müssen, zwingt jeden Künstler dazu, eine Schwelle zu überschreiten, die sonst vermieden wird. Auch Brummack beginnt zu sinnieren. Dabei gibt er sich beim Ortstermin im Habichtswald unentschlossener, als er ist. Natürlich hat er schon farbige Zeichnungen angefertigt und ganz sicher weiß er bereits, was er will: eine runde polierte Schale aus rötlichem Granit, die so vertieft ist, daß sich in ihr Wasser sammelt und sie als Vogeltränke dienen kann.

Brummack will sich kein Denkmal setzen, das Selbstzweck ist oder ihn als Künstler groß macht. Er denkt eher in natürlichen und kulturellen Bezügen. Da ist beispielsweise die Frage: Wer kommt denn zu seinem Grab? Menschen, so meint er; weniger, aber Hasen und Vögel seien die täglichen Besucher. Und eben den Vögeln will er etwas bieten, sie will er zu sich locken. Die Grabplatte also als lebensspendendes Element – Quell des Lebens. Da ist auch die christliche Symbolik nicht weit. Und zur Bekräftigung, daß dieser Zusammenhang kein Versehen ist, meint Brummack: „Ich nicht aus der Kirche ausgetreten wie viele andere.“

Die geplante Arbeit wird darüber hinaus noch andere Bereiche berühren. So soll die Platte auf einem Sockel ruhen, der in seiner Forme an jene südeuropäischen Grabkammern erinnert, die man Taubenschläge nennt. Andererseits wird Arbeit von weitem an ein geschichtliches Hünengrab erinnern. Eben darin liegt der Reiz von Brummacks Arbeiten, daß sie die Geste Feierlichkeit und Monumentalität aufnehmen und sehr unterschiedliche kulturelle Bezüge herstellen.

Doch Brummack gibt sich nicht mit der schlichten Feierlichkeit zufrieden. Er sucht den ironischen Bruch, auch wenn den, wie er resigniert meint, nicht alle verstehen würden: Irgendwo an oder auf die Schale, so denkt er, wird er eine rote Taube mit gespreiztem Gefieder setzen. Auch deshalb, weil die Stätte nicht zu traurig werden soll und damit die Leute etwas zum Schmunzeln haben.

HNA 22. 6. 1995

Heinrich Brummack (Jahrgang 1936) gehört zu den liebenswerten Künstlern, die in ihren Arbeiten auch imnler eine Spur natürlichen Humors umsetzen. Den Kasselern schuf der documenta-Künst1er vor Jahren einen Marktbrunnen, bei dem das Wasser aus einem roten Topf „überkocht“ und der von zwei Säulen mit goldenen Birnen gesäumt wird. Jetzt hat er sich am Blauen im Habichtswald am Kasseler Stadtrand sein Grabmal geschaffen: Auf zwei Grabkammern aus weißgrauem Granit ruht eine rote, runde Granitplatte. Die Platte von 2,70 Meter Durchmesser vertieft sich zur Mitte hin, so daß sich in ihr Wasser sammeln kann. Brummack, der von dem kürzlich verstorbenen Harry Kramer eingeladen wurde, sich als Fünfter an dem Skulpturenprojekt Künstlernekropole (Künstlerfriedhof) im Habichtswald zu beteiligen, sieht die Todesstätte als Lebensquell. Die rote Granitplatte kann als Taufbecken oder Altar gesehen werden. Sie dient aber mit dem Wasser, das sich in ihr sammelt, vor allem als Vogeltränke. So bleibt für Brummack der Bezug zum Leben erhalten.
HNA 12. 3. 1997

Schreibe einen Kommentar