Der indirekte Blick auf die Welt

Im Sommer kehrt die Kasseler Gemäldegalerie in das umgebaute Schloss Willhelmshöhe zurück. Vor diesem Hintergrund stellen wir Hauptwerke der Galerie vor, die auch jetzt zu\sehen sind.

Dieses Doppelbildnis adelt die dargestellten Personen. Der Antwerpener Maler Gonzales Coques (1614-1684) hat die beiden Personen, Mann und Frau, in feiner und liebenswürdiger Weise porträtiert. Ihre Gesichter, die wie Lichtpunkte vor dem dunkel getönten Hintergrund wirken, sind individuell charakterisiert. Der Maler verheimlicht nicht, dass er die Anordnung inszeniert hat – beide Personen wenden sich mehr dem Betrachter als ihrer Beschäftigung zu.

Die Rollenteilung ist klassisch: Der Mann ist der Gelehrte, der seine Bücher durcharbeitet und die Welt – in Form eines Globus – im Blick hat. Er ist für das Wissen und Messen zuständig, worauf neben den Büchern eine Sanduhr und eine anatomische Figur hinweisen.

Immerhin ist die Frau nicht mehr dem Häuslichen zugewandt. Sie widmet sich dem Künstlerisch-Musischen, indem sie auf einem Cembalo spielt, dessen Deckel üppig bemalt ist; auch steht sie für das Lebendige und für die Treue, wie der kleine Hund unter dem Cembalo andeutet.

Gonzales Coques hat die Attribute sorgsam geordnet, um auch über die Umgebung die Personen zu charakterisieren. Und nicht zufällig befindet sich zwischen beiden Personen ein Durchgang zum Nachbarraum, der sich nach strengen perspektivischen Regeln zu erkennen gibt. So öffnet sich das Zimmer mit seiner dunklen, ornamentalen Ledertapete, um die Weite und Weltläufigkeit dieser Menschen zu symbolisieren.

Das in warmen, harmonischen Farben angelegte Gemälde führt uns eine eigenwillige Lichtführung und damit auch Weltsicht vor. Die Fenster sind im unteren Bereich durch Holzläden verschlossen, so dass das Licht des blauen Himmels wie in einer Galerie von oben eindringt und für eine gleichmäßige Ausleuchtung sorgt. Der Boden, der das Licht auffängt, wirkt ähnlich hell wie der hintere Raum.
Die Fensterläden verhindern den direkten Blick auf die Umgebung.

Das heißt aber nicht, dass das Paar an der Außenwelt nicht interessiert wäre. Im Gegenteil
Beide setzten sich intensiv mit der Vielfalt des Lebens auseinander – allerdings indirekt, vermittelt durch die Wissenschaft (Bücher und Globus) und die Kunst (die Landschaftsgemälde an der Wand und das Cembalo). Es ist, als hätten sie sich mit dem Extrakt des Wichtigen und Schönen umgeben.

HNA 19. 3. 2000

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