Die Bilder von Lucas Cranach (1472 – 1553) und seinem gleichnamigen Sohn (1515 – 1585) bilden einen der Schwerpunkte im Gothaer Schloßmuseum. Anläßlich des Cranach-Jahres hatte das Museum um diesen Bestand im Sommer die Ausstellung Gotteswort und Menschenbild eingerichtet. Wegen des Zuspruchs wurde die Ausstellung (allerdings reduziert um die Grafik) bis 12. Januar verlängert. Innerhalb der Cranach-Sammlung ist das hier vorgestellte Madonnenbild eines der Hauptwerke.
Lucas Cranach d. Ä. gilt als der große Maler der Reformation. Er porträtierte nicht nur den Reformator Luther, sondern schuf auch regelrechte Lehrbilder, die dazu beitragen sollten, den neuen Glauben zu propagieren. Aber die enge Bindung an den Kurfürsten von Sachsen und an Luther hinderten den Maler und seine Werkstatt nicht daran, auch traditionell-katholische Bildinhalte aufzugreifen.
Da der erfolgreiche Cranach eine fabrikmäßige Werkstatt betrieb, in der fast übergangslos
sein Sohn (Lucas Cranach d. J.) die Werkstattleitung übernahm, ist es schwierig, genau einzugrenzen, wo der Vater eindeutig als Künstler sichtbar wird und wo der Sohn in den Vordergrund tritt. Das seit 1721 in Gotha inventarisierte Gemälde Maria mit dem Kind und dem Johannesknaben wird heute
als ein Werk des jüngeren Cranach angesehen. Es steht für einen mehrfach gestalteten Bild-Typus:
Maria sieht man als Halbfigur mit dem Jesusknaben vor einem von Engeln gehaltenen Vorhang. Ein durchaus konservatives, nicht-reformatorisches Bildthema, das die Cranach-Werkstatt in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts hervorbrachte. Auf der Wartburg hängt ein ähnliches Gemälde, das allerdings dem Vater Cranach zugeschrieben wird: Vor einem von zwei Engeln gehaltenen Vorhang schiebt das Kind Maria eine Weintraube in den Mund. Das Gothaer Bild besitzt nicht jene Innigkeit, die das Wartburg-Werk in der Darstellung der Mutter-Kind-Beziehung erreicht. Dafür öffnet es sich in doppelter Weise.
Es kommt der Johannesknabe hinzu, der Jesus (als Symbol des Erlösungswerkes) eine Traube reicht. Maria und ihr Kind sind also nicht nur aufeinander bezogen, sondern wenden sich dem kleinen Johannes zu. Für die Komposition noch folgenreicher aber ist, daß der Samtvorhang nicht den gesamten Bildhintergrund abdeckt. Er wird von den Engeln vielmehr wie ein Zeltdach über die Figurengruppe gehoben, so daß sich die dreieckige Kompositionsgrundstruktur verstärkt.
Links oben geht der Blick des Betrachters am Vorhang vorbei in eine weite Landschaft, aus der vorne ein Baum und hinten Berge herausragen. Das Madonnenbild verliert dadurch ein wenig seinen Andachtscharakter. Allerdings sind Vorder- und Hintergrund kaum miteinander verbunden. Es könnte sich, auf heutige Techniken übertragen, um eine Montage handeln.
HNA 13. 11. 1994