Sorgen überschatten die Bilanz

Die documenta X war rundum ein Erfolg. So die stolze Bilanz von Kassels Oberbürgermeister Georg Lewandowski. Doch finanzielle Zukunftssorgen überschatten die Freude.

20 Millionen Mark sollte die documenta X kosten. Hat das einkalkulierte Geld gereicht, oder sorgte die Rekord-Besucherzahl von 631 000 gar für einen Überschuß? Bernd Leifeld, documenta-Geschäftsführer, hielt sich in der gestrigen Bilanz-Pressekonferenz im Kasseler Rathaus bedeckt: „Wir kommen hin“. Die Schlußrechnung werde zum Jahresende gemacht, denn erst dann lägen auch die genauen Kosten für den Rückbau vor.

Mit Blick auf die nächste documenta forderte Leifeld eine möglichst frühzeitige Bestellung der künstlerischen Leitung. Seiner Ansicht nach erfolgte Catherine Davids Berufung zu spät. Denn damals habe bereits der Wirtschaftsplan vorgelegen, der eine Mittelfinanzierung des Etats durch
500 000 Besucher vorsah. Es hätte also gar nicht die Freiheit bestanden, eine exklusivere Ausstellung zu planen.

Bevor die nächste documenta geplant werden kann, muß jedoch erst sichergestellt werden, daß nicht alles andere im Ausstellungsbetrieb zusammenbricht. Kassels Oberbürgermeister Georg Lewandowski bekannte sich zwar noch einmal nachdrücklich zum Vorjahresbeschluß, zwischen den documenten das Museum Fridericianum als Kunsthalle auf hohem Niveau weiterzuführen und städtischerseits jährlich mit etwas über einer Million Mark (wie das Land Hessen) auszustatten. Er mußte aber einräumen, daß aufgrund anderer Beschlüsse nicht einmal 700 000 Mark bereitstünden. Bliebe es dabei, ginge es an die Substanz der Kunsthalle.

Aber die Sorge um die Zukunft der Kunsthalle, für deren Leitung der international gefragte René Block berufen wurde, war nicht die einzige, die die positive documenta-Bilanz der Stadt trübte. Möglicherweise gelingt es nicht, wie seit 1982 üblich, für die Neue Galerie Werke aus der documenta anzukaufen. Zwar hat das Land Hessen 200 000 Mark bereitgestellt, gibt die aber nur, wenn die Stadt in gleicher Weise mitzieht. Die aber hatte ihren Anteil nicht etatisiert und wollte ihn nun mit Hilfe der Kasseler Sparkasse und einer außerplanmäßigen Ausgabe (je 100 000 Mark) ermöglichen. Doch der Regierungspräsident will angesichts des Defizits die außerplanmäßige Ausgabe nicht genehmigen.

Damit entfielen auch die Gelder der Sparkasse und des Landes. Ernüchterung also auf allen Ebenen. Gleichwohl würdigte Lewandowski noch einmal den Imagegewinn, den Kassel der documenta insgesamt und der diesjährigen Ausstellung insbesondere verdanke. Er wies die Behauptung zurück, die documenta-Gäste seien im Vergleich zu früher nur selten länger als einen Tag in Kassel geblieben. Obwohl sich die Zahl der Übernachtungen seit 1994 beständig erhöht hat, rechne man für dieses Jahr mit einen Zuwachs gegenüber 1996 von rund 21 Prozent. In den documenta-Monaten Juli bis September gab es Steigerungen gegenüber den Vorjahresmonaten um 34,9 bis 64,6 Prozent. Erklärbar ist der falsche Eindruck dadurch, daß seit der vorigen documenta die Zahl der Betten im Hotelgewerbe von 3283 auf 4556 stieg.

Die documenta X rief bei großen Teilen der Fachkritik heftige Reaktionen hervor. Anders ist die Meinung der Besucher; 44,3% beurteilten die Ausstellung als hervorragend und gut; 32,7% fanden sie befriedigend und nur 23% gaben ihr die Noten vier und fünf Prof. Gerd Michael Hellstern von der Universität Gesamthochschule Kassel hat diese Ergebnis in einer repräsentativen Umfrage (4596 Besucher) ermittelt. Diese Umfrage macht vier Dinge deutlich:

Die documenta ist zu einr Institution geworden, die mitllerweile ein Stammpublikum (52,1%) hat; 76,7% wollen sicher oder vielleicht zur documenta wiederkommen.

44% beziehen ihre documetta-Informationen aus Tages- und Wochenzeitungen.

Das kulturelle Erlebnis (42%) und der Wunsch, einen Überblick (38,95) zu gewinnen, sind vorrangige Motive zum documenta-Besuch.

Die größten Besuchergruppe stellen die 20-29jährigen (28,3%) und die 30-39jährigen (24,6%).

Die documenta-Besucher haben überdurchschnittliches Bildungsniveau (49,35% mit Hochschulabschluß, 30,4% mit Abitur) und bilden überwiegend ein Fachpublikum.

HNA 7. 11. 1997

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