Probleme der Innenstadt

Die Beschreibung ist sachlich, manchmal fast unterkühlt und klingt ehrlich. Manches wirkt resignativ, aber der Schluß ist versöhnlich gehalten. Für die documenta-Interessenten und -Besucher, die außerhalb der Stadt und Region leben, porträtiert der Stadtplaner Albert Pinkvohs (Jahrgang 1939) im 3. Heft der „documenta documents“ die Strukturen, Eigenheiten und Schwächen der Kasseler Innenstadt. Weil er vieles (auch Bekanntes) gut auf den Punkt bringt, sollen einige der Kernaussagen hier zitiert werden.

Beginnen wir mit dem nicht nur resignativen Schluß: „Seit Mitte der 80er Jahre hat sich in der Innenstadt Kassel etwas getan: städtebauliche Reparatur durch Baulückenschließung, Straßen- und Platzumbau.“ Aber für eine grundsätzliche Veränderung der beim Wiederaufbau gemachten Fehler sieht er kaum Spielräume. Außerdem meint er: „Ein grundsätzlicher Eingriff verbietet sich aber auch, da die Bürger … sich mit dieser Stadt aufgrund ihrer guten und schlechten Erfahrungen identifizieren.“

Einen Grund für die Fehlentwicklung sieht Pinkvohs darin, daß beim Wiederaufbau die Erinnerungen an die einstige Residenzstadt ausgelöscht und nach der Zerstörung ein völliger Neubeginn versucht werden sollte. Die Mischung aber aus modernen Bauüberlegungen und Denkweisen, die noch durch den Nationalsozialismus geprägt waren, habe zu der teilweisen Verunstaltung geführt: Die Blockbebauung etwa mit dreigeschossigen Häusern und großen Freiflächen habe eher dem Siedlungstypus der Deutschen Arbeitsfront der Nazi-Zeit entsprochen als einem modernen urbanen Bild: „In einer Innenstadt eines Ballungsraumes… würde niemand eine derartige antiurbane Raumstruktur … erwarten.“

Pinkvohs legt seine Finger in zum Teil bekannte Wunden: Es mangele der von breiten Verkehrsschneisen eingeschlossenen Innenstadt an kleinen Plätzen. Die mancherorts geäußerte Kritik am „zu großen“ Friedrichsplatz läßt er hingegen nicht gelten. Es fehle lediglich die Spannung zwischen alt und neu, eng und weit. Dieser Mangel erklärt nach seiner Ansicht die Sucht, die zentralen Plätze (Königs- und Friedrichsplatz) bei Festen immer mit kleinteiligen Würstchenboden voll zu stellen.

Den nationalsozialistischen Ungeist spürt Pinkvohs auch in der einstmals viel gerühmten Treppenstraße. Sie sei im Verhältnis zur niedrigen Randbebauung viel zu monumental angelegt. Doch zum Glück hätten die Veränderungen der letzten Jahre (Begrünung, fliegende Händler, Außenbewirtschaftung) der Anlage ihre Schärfe genommen. Kritisch nimmt der Autor auch die Tatsache auf, daß viele Einwohner Kassels, wenn sie auf ihre Stadt angesprochen werden, sie selbst nicht schön finden, wohl aber deren Umgebung.

HNA 5. 4. 1997

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