Die Verletzbarkeit des Körpers

Eine von Jan Fabre produzierte Opern-Uraufführung soll die Schlußphase der documenta 9 in Kassel krönen. Gestern wurde das Konzept vorgestellt.

Mit jeder documenta, die für Kassel vorbereitet wird, entsteht der Traum neu, die bildende Kunst und das Theater könnten bei dieser Ausstellung zusammengeführt werden. Oftmals blieb dieser Traum unerfüllt. Anläßlich der vorigen documenta aber konnte das vom Theater angebotene Festival die erhoffte Brücke herstellen. Auf eine intensive Weise wurde der Grenzbereich zwischen darstellender und bildender Kunst ausgelotet. Eine der Produktionen stammte von dem Belgier Jan Fabre (Jahrgang 1958), der sich als Zeichner und Maler einen Namen gemacht hat.

Für die documenta 9 wird nun Fabre diesen Traum voll realisieren können. Er wird innerhalb der Ausstellung vertreten sein und wird mit der Uraufführung seiner Oper „Silent Screams – Difficult Dreams“ (Stille Schreie, schwierige Träume) nach Kassel kommen. Die Uraufführung war, wie berichtet, erst Anfang März für die documenta-Stadt gesichert worden, nachdem über Monate die Gefahr bestanden hatte, die 500 000-Mark-Produktion könnte aus Raum- und Terminnot in Kassel nicht gezeigt werden. Bei der gestrigen Pressekonferenz im Kasseler Staatstheater waren die alten Sorgen vergessen. documenta-Leiter Jan Hoet meinte, Fabres Oper entspreche genau dem documenta-Konzept, indem sie der Verletzbarkeit des Körpers die Stärke entgegenstelle. Und Intendant Michel Leinert freute sich, daß die Oper gut in den Kasseler Spielplan hineinpasse und daß sie – durch die Einbeziehung des Orchesters – als wirkliche Koproduktion geplant werde.

Die in drei Sprachen (Deutsch, Englisch, Italienisch) angelegte Oper soll am 18. September uraufgeführt werden. In Kassel wird es zwei Vorstellungen geben, anschließend geht die Produktion mit ihren 160 Akteuren (und dem Orchester aus Rouen) auf Tournee.

Die Oper ist der zweite Teil einer Trilogie. Das von Jan Fabre geschriebene Libretto erzählt von einer Frau mit übersinnlichen Kräften, die durch ein Reich der Phantasie streift; aus der Traumreise wird ein Albtraum. Der polnische Komponist Eugeniusz Knapik (Jahrgang 1951), der mit Fabre auch schon den ersten Teil der Trilogie erarbeitete, schuf auf der Grundlage des Librettos die Komposition; auf der wiederum baut Fahre seine Inszenierung und Bühnenausstattung auf.

Gegenüber anderen Produktionen hebt sich die Fabre-Oper dadurch ab, daß der Künstler sein Konzept auf allen Ebenen durchsetzen kann. Auch der an sich eigenständige Komponist hat sich, wie er bekennt, auf Fabres Welt eingestellt.

HNA 28. 4. 1992

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