Ein neuer Start?

Das Dilemma, in dem das documenta-Archiv steckt, wird durch die Kündigung seines Leiters Konrad Scheurmann offenbar. Das Archiv steht in der Kunstlandschaft nicht an dem Platz, an dem es die Verantwortlichen gern sehen würden. Denn es sollte nicht bloß das aufarbeiten, was jeweils eine documenta an Text- und Bildmaterial hinterläßt, sondern es sollte auch zum Fundus für die jeweils nächste documenta werden. Hätte es dieses Ziel erreicht, wäre es automatisch zu einem der zentralen Archive für die zeitgenössische Kunst geworden.

Man kann davon ausgehen, daß die Enttäuschung darüber, daß dieses Ziel nicht greifbar wurde, beiderseitig ist: Die Stadt als Trägerin hätte sich mit Sicherheit mehr und stärkere Impulse mit überregiona1er Ausstrahlung aus dem Archiv gewünscht. Andererseits hätte sich das Archiv eine um vieles bessere finanzielle und moralische Förderung gewünscht. Oftmals schien es so. als hätten beide Seiten das Interesse aneinander verloren, ganz zu schweigen davon, daß die jeweiligen documenta-Leitungen das Leistungsvermögen des Archivs sehr unterschiedlich einschätzten.

Die Stadt sollte die jetzt entstandene Situation als Chance zu einem neuen Start begreifen. Erst einmal muß klar sein, daß das Archiv nur dann sinnvoll ist, wenn es räumlich in der Nähe zum documenta-Standort oder zur documenta-Geschäftsstelle angesiedelt wird. Darüber hinaus muß dafür gesorgt werden, daß die: finanzielle Basis verbreitert wird, denn nur ein Archiv, das auch über Literatur über allerjüngste Kunst verfügt, kann einer documenta-Leitung dienlich sein. Und drittens wäre eine Anbindung des Archivs an den kunstwissenschaftliehen Bereich der Gesamthochschule sinnvoll, wenn es eine Basis für Forschungsarbeiten werden sollte.

Das aber heißt, daß das documenta-Archiv nur über eine Erweiterung der Trägerschaft eine Zukunft gewinnen kann. Andererseits gibt es für einen neuen Archivleiter nur dann eine Perspektive, wenn dem Institut eine attraktive Bleibe angeboten wird und er selbst im städtischen Kulturbetrieb wahr- und ernst genommen wird.

HNA 7. 1. 1988

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