Zwei Augen, zwei Kulturen

Zwischen den beiden Beuys- Bäumen auf dem Friedrichsplatz steht ein kleiner Holztisch. An ihm sitzt der Koreaner Keun Byung Yook (Jahrgang 1957) und schreibt Postkarten in die Heimat. Wenn er aufschaut, fällt sein Blick auf eine Steinpyramide, die ein paar Schritte weiter bis zu einer Höhe von fünf Metern herangewachsen ist. Schon jetzt ist erkennbar, daß der Steinbau unter Torf-Erde und Gras verschwinden und sich in ein Iglu verwandeln wird.

Es ist Yooks documenta-Beitrag. Die Arbeit wird still und zugleich spektakulär werden. Wer sie erfassen will, muß stehen bleiben, hinsehen und hinhören und sich in die Kommunikationsstruktur einbinden lassen, die der Koreaner entworfen hat: Aus dem oberen Teil des Iglus wird ein Monitor das Bild eines großen Auges projizieren. Dieses Auge wird in Richtung auf das Museum Fridericianum blicken. Aber der Blick wird auf halbem Wege hängenbleiben, denn auf der Fläche vor dem Ausstellungshaus wird Yook eine Stahlsäule errichten, aus der ebenfalls ein Monitor das Bild eines Auges aussendet.

Zwei Augen werden einander anschauen, zwei Welten werden sich begegnen – ein europäisches und ein asiatisches Auge. Der Betrachter, der dies wahrnimmt, steht dazwischen. Er wird die Blicke wenden und seinen Standort suchen können. Dahin will ihn Keun Byung Yook bringen – zum Nachdenken über die Menschen und deren gemeinsame Geschichte, über Kultur und Natur.

Zwei stumme Blicke begegnen sich, sind unausweichlich aufeinander fixiert. Aber entsteht daraus ein Blickkontakt und gar Kommunikation? Yook ist skeptisch, gibt jedoch keine eindeutige Antwort. Die visuelle Brücke unterlegt er nämlich mit einer Klangfläche, die aus dem Iglu heraustritt – auf- und abschwellende elektronische Klänge, Musik gar und darunter gemischt gelegentlich Laute von Tieren. Spätestens wenn eine Kuh aus dem Iglu ihr Muhen ertönen läßt, löst sich die fragende Spannung.

Keun Byung Yook hat verschiedentlich mit solchen Iglu-Installationen gearbeitet, mit dem nackt wirkenden Auge, das aus ihrem dunklen Hügel herausblickt. Ebenso ist er als Performance-Künst1er hervorgetreten.

Die wesentlichen Impulse für seine künstlerische Arbeit hat Yook nach eigenem Bekenntnis in seiner Kindheit empfangen – durch das Erleben der Welt. Also nutzt er heute die Kunst, um andere für die Wahrnehmung der Welt zu sensibilisieren.

HNA 15. 5. 1992

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