Vollendung einer Idee

Noch bis zum 13. Juni läuft in der Kunsthalle Fridericianum die Ausstellung „Mens sana in corpore sano“ des in Berlin lebenden Künstlers Thomas Zipp. Es ist nicht nur eine der größten, sondern auch eine der wichtigsten Einzelausstellungen in der Kasseler Kunsthalle. Es ist aber auch, wie der am 26. Mai im Fridericianum uraufgeführte Film „Achtung: Psychonauten“ erkennen ließ, ein Höhepunkt im Schaffen von Thomas Zipp.

Der Film von Sonja Baeger, die Zipp über viele Stationen begleitet hat, könnte noch einige Schnitte vertragen und würde gewinnen, wenn in der ersten Hälfte die Tonqualität verbessert würde. Doch insgesamt überzeugte der Film, weil er nicht zu erklären oder zu kommentieren versucht, sondern schlicht den Menschen, den Künstler und den Musiker Thomas Zipp beobachtet.

Als Zipp sich vier Wochen zuvor im Fridericianum den Fragen von Rein Wolfs und der Zuhörer stellte, kultivierte er das Bild eines Künstlers, der eigentlich gar nicht genau weiß, was er macht, und dem viele Fragen und Erklärungsversuche anderer eigentlich egal sind. Im Film gibt er sich ganz ähnlich – sieht man von dem Schluss-Interview von Veit Loers ab. Doch wie die Ausstellung, die in Kassel zu besichtigen ist, zeigt auch der Film, dass das eine Maskerade ist. Hinter dem sich naiv und spielerisch gebenden Künstler offenbart sich eine unglaubliche Ernsthaftigkeit, ja, man kann von einer Besessenheit sprechen, mit der er die Fragen von Rausch und Zwang, Ordnung und Glauben, Geist und Körper, Normalität und Wahnsinn, Verletztlichkeit und Tod verfolgt. Zipps Bilder, Skulpturen und Installationen erzählen von einer Welt, deren Teil wir sind, die uns aber abseitig und verschlossen erscheint. Zudem gibt Zipp im Gespräch mit Loers zu erkennen, wie gut er die Dimensionen der Überlieferung (nicht nur in der Kunst) kennt.

White cube als Gummizelle Zerwühlte Betten Flure ohne Wände Magisch-düstere Bilder

Obwohl die Kasseler Ausstellung, die aus einer einzigen Installation besteht, in dem Film aus zeitlichen Gründen nicht vorkommt, verweisen viele Bilder und Arrangements, denen man im Film begegnet, auf die Schau im Fridericianum. Ja, zuweilen entsteht der Eindruck, die vorausgegangenen Projekte und Ausstellungen seien Probeläufe für Kassel gewesen. Man hat das Gefühl, dass sich im Fridericianum Zipps Idee vollendet.

Das gilt nicht nur, weil viele Aspekte von Zipps bisherigem Schaffen in einen Zusammenhang, in ein System, gestellt worden sind. Nein, das Entscheidende ist, dass es Zipp in Kassel gelungen ist, mit den Mitteln der Ausstellung die Ausstellung zu überwinden. Man geht wie durch eine Galerie, die sich selbst in eine höhere Ordnung eingebracht hat. Die Bilder und Skulpturen, sind auf einmal keine autonomen Kunstwerke mehr, sondern Teil eines Raumes, in dem die Fragen des Lebens zur Diskussion gestellt werden.

Der Film wird dadurch zu einem Werkstattbericht, der zu der Kasseler Inszenierung hinführt. Hochspannend an ihm ist, dass er eine Seite von Zipp ins Spiel bringt, für die es in der Kasseler Ausstellung keinerlei Hinweise gibt – das Ausleben in der Musik.

27. 5. 2010

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