Die Kasseler Gemäldegalerie Alte Meister ist in das umgebaute Schloss Wilhelmshöhe zurückgekehrt. Aus diesem Anlass stellen wir Hauptwerke der Galerie vor.
Weil er die Farbe Grün bevorzugte, erhielt der Maler Hans Baldung (1484/85-1545) den Beinamen Grien. Aber nicht nur seine Farbvorliebe zeichnete den Künstler, der ein Schüler und Freund Albrecht Dürers war, besonders aus. Baldung war, für seine Zeit und seinen Stand, in ungewöhnlicher Weise auf Sicherheit bedacht. Als er 1516 den Freiburger Marienaltar vollendet hatte, ließ er sich nur einen Teil seines Honorars auszahlen, um sich den anderen Teil als jährliche Leibrente gutschreiben zu lassen. Doch die Vorsorge war unnötig: Durch erfolgreiche Arbeit, Spekulationsgeschäfte und Geldverleih wurde er zu einem der wohlhabendsten Bürger in Straßburg.
Hans Baldung gilt als einer der Künstler, die im 16. Jahrhundert die Brücke von der altdeutschen Malerei zum Manierismus schlugen. Harte Farbkontraste zeichnen etliche Gemälde Baldungs ebenso aus wie ungewöhnliche Formate. Diese Bemerkungen treffen auch auf das Kasseler Bild zu, das die Gemäldegalerie 1892 als Geschenk von Edward Habich erhielt und das einen der Höhepunkte innerhalb der Altdeutschen Malerei bildet, Für die Kasseler Sammlung ist das Gemälde auch deshalb wichtig, weil es die Verbindung zum Herkules im Bergpark herstellt. Seit dem 14. Jahrhundert wurde der Sagenheld als Inbegriff des Mächtigen und auch Vernünftigen geschätzt.
Hans Baldung legt in seinem schmalen Bild die andere Seite des Herkules frei: Der erscheint als ein Mensch, dem animalische Kräfte verliehen sind. Verbissen und gewalttätig wirkt sein Gesicht, mit den Zähnen beißt er auf die Unterlippe. Der Löwenkopf auf seinem Kopf und das herunterhängende Fell mit Tatzen und Schwanz verwandeln ihn in ein fast tierisches Wesen.
Das Bild zeigt, wie es Herkules gelingt, den Riesen Antäus zu besiegen. Antäus, Sohn der Erdgöttin, ist solange unüberwindbar solange er mit den Füßen auf den Boden steht. Wir sehen, wie es der kleinere Herkules schafft, mit seinen Griffen um den Körper und zwischen die Beine Antäus hoch zu heben – das eine Bein hängt schon in der Luft, das andere berührt gerade den Boden. Mit dem aus dem Ohr tropfenden Blut signalisiert der Maler, dass der Riese überwunden ist. Verfremdet wird die Szene dadurch, dass die hellen Körper vor einem dunklen Hintergrund zu sehen sind. Die Kulisse war ursprünglich heller. Es sind noch schwach die Zweige eines Baumes zu erkennen.
HNA 23. 7. 2000