Das Unternehmen verdient Bewunderung: Eine Gruppe von Kasseler Künstlern hat eine eigene Galerie gestartet. Gleich mit der ersten Ausstellung – Skulpturen des documenta-Künstlers Wolfgang Nestler – dokumentieren die Veranstalter, auf welch hohem Niveau sie sich bewegen wollen. Die Schau, die hier zu sehen ist, würde auch dem Kunstverein Ehre machen.
Wie einst die New Yorker Avantgardegalerien haben sich die Künstler mit ihrer Produzentengalerie ins künstlerische Niemandsland vorgewagt, sie haben ihr Domizil in einem alten Fabrikgebäude in der Sickingenstraße aufgeschlagen. Die Galerie im Haus Nr. 10 erreicht man über einen nicht gerade einladenden Hinterhof. Umso überraschter ist man, wenn man den weitläufigen Ausstellungssaal im 2. Stock betritt, in dem die Stahlarbeiten von Nestler eine Umgebung fanden, für die das verzaubernde italienische Wort Ambiente genau zutrifft. Wolfgang Nestler (Jahrgang 1943) baut in seinen Arbeiten Spannungen auf und spielt mit dem Gleichgewicht: Da ist ein großer Kreis auf die Wand gemalt. An einem Punkt des Kreises hält ein Nagel ein Stahlband, das sich in seiner Rundung exakt an die Kreisform hält. Das Problem der Balance wird zum Spiel verklärt.
Zu sehen ist auch Nestlers Beitrag zur documenta 8, jene von der Decke hängende Stahlscheibe, die durch das Verlagern der aufgelegten Gewichte ins Schwingen versetzt wird. Voller Dynamik ist jenes Stahlband, das frei auf dem Boden liegt und sich im eleganten Halbkreisschwung in der Luft zurückbiegt und dabei Bewegung andeutet.
Daneben sieht man auch massivere Stücke, in denen sich Nestler mit dem Volumen und dessen Balance auseinander setzt. Eine spannungsreiche Ausstellung.
HNA 18. 3. 1988