In die Landschaft hineinschaukeln

Die Gefühle widerstreiten sich. Mal glaubt man, sich fast im Raum zu verlieren, davon zu schweben und hineinzufliegen in eine schöne, heile Welt. Dann wieder sträuben sich die Empfindungen und wehren sich gegen diese verschmelzende Harmonie von Bewegung, Klang und Bild, diesen Zauber von Kitsch. Am Ende setzt sich die Begeisterung durch – hoch über den Wipfeln zu schweben, hineinzuschaukeln in weiche, sanfte Berg- und Waldlandschaften.

Barbara Nemitz, aus Göttingen stammende (Jahrgang 1948) und in Berlin lebende Malerin, verhilft zu dieser neuen Raum- und Landschaftserfahrung. Sie ist bekannt geworden durch impressionistisch wirkende Landschaften, die sich allerdings dem festen Zugriff entziehen. In den letzten Jahren verstärkte sie diese immaterielle Wirkung, indem sie ihre Bilder auf durchsichtige Vorhänge auftrug: Je näher der Besucher an die in mehreren Ebenen hintereinander angeordneten Vorhänge herantritt, desto unfaßbarer und unsichtbarer werden die Landschaften.

Während ihre gemalten Bilder eher die Illusion zerstören, setzt Barbara Nemitz in ihrer Rauminszenierung „Schönheit und Schmerz“ auf die Perfektion der Illusion: In einer dunklen Halle (in diesem Fall im Spot“, Ölmühlenweg 10-14) werden auf durch einen Ventilator in leichte Bewegung gesetzte Vorhänge Schwarzweißbilder von Landschaften projiziert. Und während aus Lautsprechern eingängige Musik erklingt („Charmaine“, „Moon River“), dürfen jeweils zehn Besucher in das leicht bewegte, weichgemachte Bild hineinschaukeln.

Im Rhythmus des Schaukelns scheinen sich Raum und Zeit zu verflüchtigen. Die Flucht in die Idylle (es handelt sich um Aufnahmen von Landschaften aus den 20er Jahren) gelingt – und man fühlt sich dabei ertappt.

HNA 28. 5. 1991

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