Zeichnungen und Texte zu Klängen

Begleitend zu einer dauerhaften Klanginstallation stellt der Kasseler Kunstverein Zeichnungen und Texte des amerikanischen Künstlers Max Neuhaus aus.

Die documenta ist eine Ausstellung der visuellen, der sichtbaren Kunst. Trotzdem war einer der zentralen Beiträge zur documenta des Jahres 1992 mit den Augen nicht wahrnehmbar: Der amerikanische Künstler Max Neuhaus (Jahrgang 1939) hatte in dem verglasten 50er-Jahre- Treppenhaus des AOK-Gebäudes, das documenta-Leiter Jan Hoet als Scharnier der Ausstellung begriff, eine Klanginstallation geschaffen. Dank der Bereitschaft des Künstlers konnte die Installation auf Dauer erhalten bleiben.

Max Neuhaus kommt von der Musik her. Er studierte am Konservatorium und war erfolgreicher Perkussionist, bevor er den Weg in die bildende Kunst fand. Die Musik im traditionellen Sinne ist nicht mehr seine Sache. Er will weder unterhalten noch mit seinem Werk unmittelbar in Erscheinung treten. Eher geht es ihm um Irritationen. So wie zu Räumen bestimmte Halleffekte oder Geräuschpegel gehören, will Neuhaus einzelne Orte mit individuellen Klangfärbungen ausstatten. Die Tonquellen sind nicht sichtbar, die Klänge oft bewußt kaum wahrnehmbar. Stets aber sind diese „Sound works“ (Kiangarbeiten) präzise platziert und bereichern den Raum, wenn man sie entdeckt hat und verfolgt. In dem AOK- Treppenhaus entwickelt und verändert sich die Klangarbeit, sanfter Sphärenmusik gleich, über drei Etagen.

Diese Installation ist als das Fundament für die Ausstellung anzusehen, die jetzt der Kasseler Kunstverein zeigt. In ihr sind Texte und Zeichnungen zu 31 „Sound works“ zu sehen, die Neuhaus seit 1968 geschaffen hat. Mit den vorzeigbaren Arbeiten begibt sich der Klangkünstler auf zwei andere künstlerische Ebenen, um anschaulich zu machen, wohin er zielt. Die Zeichnungen haben direkt mit den Installationen nichts zu tun, sie entstanden meist auch nachträglich. Sie verdeutlichen auch nicht die Klangstrukturen. Vielmehr vergewissert sich Neuhaus mit ihrer Hilfe der architektonischen Dynamik der Räume, in denen er gearbeitet hat. Mit wenigen exakten Linien umreißt er Grundrisse und fixiert er Durchgänge, Treppen oder Wandformationen. Den Zeichnungen ist die gleiche Verhaltenheit zu eigen, die die „Sound works“ auszeichnet. Es ist, als würden sich die Räume öffnen und zurückziehen.

Eine ähnliche Korrespondenz stellt sich auf der sprachlichen Ebene ein: Die Texte beschreiben in einfachen, unangestrengten und poetisch anmutenden Sätzen die Raumgefüge und die Wirkungsweisen der Klanginstallationen. Einige Texte verdichten sich zu lyrischer Kraft. Die Zeichnungen und Texte veranschaulichen das, was nur schwer faßbar ist. Sie können jenes aber nicht vermitteln, was die Installation selbst leistet – nämlich wie ein dünner, äußerst zerbrechlicher Klangteppich einem Raum Farbe gibt.
HNA 22. 2. 1995

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