Eine Einladung der Kölner Galerie Krings-Ernst, die mich sonst nicht im Verteiler hat. Eröffnet wird eine Ausstellung von Wolfgang Kliege.
Wolfgang Kliege? Ja, richtig, das war doch der Künstler, der 1968 in einer kleinen Galerie in Solingen Polsterplastiken ausstellte und über dessen Arbeit ich einer meiner zehn ersten Kritiken schrieb. Die Arbeiten hatten mich damals fasziniert, weil Kliege die weichen Polsterteile mit Holz- oder Metallstangen in überraschende Formen zwang und damit aus der Gegensätzlichkeit geschlossene Systeme entwickelte.
Dreizehn Jahre später trafen wir uns im Düsseldorfer Kunstverein wieder: Kliege täuschte Malerei vor, indem er alte Wolldecken und Tücher in Rahmen spannte und an die Wand hängte. Der Mief der Vergangenheit, den wir überwunden glaubten, holte uns mit Hilfe dieser Bilder wieder ein, wobei die Formensprache der Moderne zugleich parodiert und zelebriert wurde. Im Kunstverein brachte mich Kliege in Verlegenheit, als er mir sagte, wie wichtig ihm mein Text von 1968 gewesen sei, den ich als blutiger Anfänger geschrieben hatte.
Nun, nach weiteren 30 Jahren diese Einladung. Sie konnte nur von dem Künstler veranlasst worden sein. Denn der Galerist kannte mich nicht. Zum Glück traf es sich, dass ich am Eröffnungstag zur art cologne fahren wollte und so beide Anlässe verbinden konnte. Ein weiterer Zufall wollte, dass meine Kollegin Amine Haase ebenfalls zu Kliege wollte und wir in Köln gemeinsam zur Galerie fahren konnten.
In der Tat: Kliege hatte mich auf die Einladungsliste gesetzt und zitierte gleich bei der Begrüßung die Überschrift meiner Kritik von vor 43 Jahren: Aus Freude am Widersprüchlichen.
Die Wiederbegegnung war überwältigend, nicht nur auf Grund der lebhaften Erinnerung an die Vergangenheit. Überwältigend an der Ausstellung ist die Selbstverständlichkeit, mit der Kliege die Räume in der Galerie mit Skulpturen besetzt und mit der der Künstler die Betrachter zu Akteuren in seinen Installationen macht. Genauso überraschend war für mich, zu sehen, welche Erzähllust Kliege an den Tag legt und welch wunderbare Poesie er entwickelt. Gleich am Eingang steht eine Skulptur („Mezquita“) aus anthrazit-farbenen Stühlen und Hockern mit zum Teil überlangen Beinen. Vorsichtig umrundet man die Skulptur, um sie nicht zu gefährden. Doch sie ist fest gebaut und bietet sich als Tor an, durch das man den Raum betreten kann. Erst beim Rückblick – mit Abstand – erkennt man die äußere Gestalt der klar gebauten Skulptur: Es handelt sich um eine Moschee mit Kuppel und vier Minaretten.
Dass das Gefühl der Instabilität bleibt, verdankt die Skulptur zwei Eigenschaften: Zwei Hocker/Tische stehen schief in dem Ensemble; außerdem stehen die meisten Tisch- und Hockerbeine auf Kugeln, so dass man meint, das ganze Bauwerk könne wegrutschten. Wolfgang Kliege liebt es offenbar, Installationen und Raumbilder zu schaffen, die unsicher und prekär wirken, dabei aber fest gebaut sind. Das verstärkt sich nochmals in einem hinteren Raum, in dem ein Tisch und Stühle auf unterschiedlich großen Stühlen stehen und in dem es den Besuchern schwer fällt, angesichts der schiefen Ebenen die Dinge ins Lot zu bringen.
Gleich hinter der Moschee steht das riesenhafte Modell eines anderen religiösen Bauwerks – die „Sagrada Familia“ (in Barcelona). Die Skulptur besteht aus nach oben turmartig auslaufenden Korbobjekten, die eine wunderbare Hommage an den unvollendeten Kirchenbau bilden. Dank des Korbmaterials wirken die Türme sehr vertraut. Dabei spiegeln sie nur Alltäglichkeit vor. Diese Korbtürme sind ebenso wie die Hocker und Tische der am Eingang aufgestellten Skulptur mit ihren Übergrößen Elemente einer surrealen Sprache.
Wolfgang Kliege versteht es, Geschichten anzustoßen und Spannungen aufzubauen, um es dann den Besuchern zu überlassen, sie zu vollenden. Entziehen kann man sich diesen Geschichten nicht, auch nicht den in ihnen angelegten Unsicherheiten.
Auf unsicheres Terrain wird man man von Kliege gelockt, wenn man sich mit seinen Objekten und Installationen beschäftigt, die mit Schienen zu tun haben. Es ist, als würden die Kinder- und Jugendträume von Eisenbahnen und Reisen in die Welt der Erwachsenen als Bruchstücke übertragen und in dieser Welt zu neuen Traumbildern geformt. Da rollt ein Turm über ein Gleis, das als Halbrund an einer Wand beginnt und endet, dort sind die auf einem Gleis liegenden Felgen mit parallel laufenden Gummirädern verbunden, so dass zwei Bewegungsebenen vereint werden.
Eine Vielzahl von Assoziationen wird angestoßen. Gewachsenes und Künstliches treffen aufeinander und reiben sich. Hier scheint eine totenkopfähnliche Holzskulptur auf einem Schienenstrang zu rollen, da zieht sich Gleiskörper im Format einer Modelleisenbahn durch die zerklüftete Landschaft eines bearbeiteten Holzblocks.
Poetische Traumbilder, präzise gearbeitet und mit einer Offenheit ausgestattet, die zum Weiterträumen einlädt, aber auch zum genauen Hinschauen. Klieges Diskussionsgedicht „Alfred und Leonore“ zum Beispiel bestätigt das: Der Bildhauer und Poet führt uns Traumbilder vor, um uns zu helfen, die Welt jenseits der Träume genauer wahrzunehmen.
10. 5. 2011