Die dritte Serie der 100 Notebooks ist eingetroffen. Jetzt liegen insgesamt 55 Hefte vor.
Die Regie will, dass die Hefte 039, 040 und 041 innerlich zusammengehören, weil sie ganz im Sinne des Generalmottos „collapse and recovery“ von Konflikten, Traumata, Zerstörungen und Tod handeln. Die drei Notebooks sind außerdem inhaltlich dadurch miteinander verbunden, dass sie jeweils auf der Seite 3 (Frontispiz) einen vergrößerten Ausschnitt einer Fotografie aus der documenta III (1964) zeigen, auf der Arbeiten von Wilhelm Loth und Alicia Penalba zu sehen sind. Allerdings wird den Lesern nicht mitgeteilt, in welcher Weise die Beiträge mit der dOCUMENTA (13) zu tun haben.
Auf den ersten Blick überraschend ist, dass das Heft 039 Salvador Dalí gewidmet ist. Die frühen documenta-Ausstellungen, die Dalì als historischen Surrealisten und Skandale provizierenden Zeitgenossen hätten vorstellen können, machten einen Bogen um ihn. 1964 wurde er allein als Zeichner in der Abteilung Handzeichnungen gewürdigt.
Das Heft 039 stellt Dalí als Intellektuellen und tief ersten Menschen vor, der seit seiner frühesten Jugend die Auseinandersetzung mit dem Tod (und seiner Überwindung durch die Unsterblichkeit) beschäftigte. Dabei stehen die beiden Gemälde „Spanien“ (1938) und „Le grand paranoique“ (1936) im Mittelpunkt der Betrachtung. In einer Einführung versucht Ignacio Vidal-Folch, den Künstler Dalí als ein extravagantes Kind seiner Zeit zu fassen und dabei seiner Gespaltenheit gerecht zu werden – das Ausleben der Traumdeutung in der Bilderflut und die Bändigung der Angst vor dem Tod.
Das Heft 041 enthält Notizen des Soziologen Avery F. Gordon zu dem Projekt „The Workhouse“ (Das Arbeitshaus, das Ines Schaber zusammen mit Gordon mit Blick auf das Kloster Breitenau entwickelt, das Arbeitslager, Erziehungsheim, Gefängnis, KZ und Mädchenwohnheim war. Gordon schaut Ines Schaber (und sich selbst) über die Schulter, taucht in die Geschichte Breitenaus ein und listet auf, wie in Deutschland Arbeitshäuser entstanden. Und es wird klar, wie sehr Menschen in diesen Einrichtungen kaputt gemacht wurden.
Das Heft 040 nun ist der zweite Beitrag der documenta-Leiterin zu der Notebook-Reihe. Das Heft bietet keinen geschlossenen Text, sondern versteht sich eher als eine Materialsammlung. Gleichwohl steckt in den Hauptbeiträgen der Stoff für Vorträge, die Carolyn Christov-Bakargiev verschiedentlich gehalten hat (unter anderem auch in der Kunsthochschule Kassel). Man hat den Eindruck, in diesem Notebook einen Einblick in das eigentliche Denken und Fühlen der Ausstellungsmacherin zu erhalten und somit zu verstehen, was der Antriebsmotor für die Entwicklung der dOCUMENTA (13) ist.
Eingeleitet wird das Heft durch einen weiteren, jetzt aber kürzeren Brief an einen Freund, in dem sie sich bedeutungsgeschichtlich mit den Begriffen Konflikt, Trauma und Kunst des Heilens auseinandersetzt. Doch ihr geht es nicht nur um die Frage, ob Kunst eine therapeutische Funktion haben könne. Vielmehr zielt ihr Interesse auf die Überlegung, wie kulturhistorische Objekte und Kunstwerke selbst auf Akte der Zerstörung, Missachtung und Beseitigung reagieren könnten.
Während zu dem Brief an den Freund eine deutsche Übersetzung vorliegt, sind die folgenden, reich bebilderten Notizen zu Künstlern und Kunstwerken nur in Englisch gedruckt. Auch hier geht es um die Zerstörung und die Konflikte – die Beseitigung der monumentalen Buddha-Statuen in Bamiyan, Brandschäden im Beiruter Nationalmuseum, Man Rays Arbeit an Objekten der Zerstörung, die abenteuerliche Geschichte der Fotografin Lee Miller und das einzigartige Werk von Gustav Metzger, der sich mit der Selbstzerstörung von Kunst beschäftigte.