Ausnahmekünstler Ai Weiwei

Je länger die documenta 12 zurückliegt, desto klarer wird, wie wichtig zu diesem Zeitpunkt die Teilnahme des chinesischen Konzept-Künstlers Ai Weiwei war. Vor allem der Teil seines Projektes “Fairytale”, durch den während der documenta 1001 Chinesen für jeweils eine Woche nach Kassel kommen konnten, war nicht nur künstlerisch faszinierend, sondern vor dem Hintergrund der Diskussion über Menschen- und Freiheitsrechte in China äußerst brennend. In den am Ende der documenta gezeigten Filmen über die Vorbereitung des Projektes wurde sichtbar, dass in vielen Fällen der erfolgreiche Kampf um die Ausreisegenehmigung mehr wog als die Reise selbst.

Durch seine documenta-Teilnahme wurde Ai Weiwei nicht bloß ein Star am europäisch-amerikanischen Kunsthimmel, sondern sicherte der Künstler in der chinesischen Öffentlichkeit eine Position, die nicht so leicht angreifbar ist. Zwar wurde Ai Weiwei im August 2009, als er am Prozess gegen den mit ihm befreundeten Bürgerrechtler Tan Zuoren teilnehmen wollte, von einem Polizisten so stark geschlagen, dass er sich in München wegen einer Gehirnblutung operieren lassen musste, auch wurden von den Behörden seine Internetseiten gesperrt, doch kann er (bisher) immer wieder öffentlich auftreten und seine Kritik am chinesischen System äußern.

Nachdem jetzt Tan Zuoren zu fünf Jahren Haft verurteilt worden ist, sagte Ai Weiwei laut dpa: “Dieser Fall enthüllt, dass Diktatur und Autokratie unter den Bedingungen der Führung der Kommunistischen Partei eine tödliche Krankheit sind.” Tan hatte – ähnlich wie Ai – dokumentieren wollen, dass bei dem Erdbenen im Mai 2008 mehr als die Hälfte der verstorbenen 5000 Schulkinder deshalb ums Leben kam, weil die Schulen so schlampig gebaut gewesen worden seien. Offiziell wurde Tan wegen seiner Berichte über die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung im Jahre 1989 verurteilt.

Ai Weiwei Template Stühle Vier von 1001 Chinesen

In einem heute erschienenen Artikel für das “Wall Street Journal” beklagt Ai Weiwei, dass in China die Unterdrückung der Meinungsfreiheit (das Zensursystem) sich auf alle Bereiche der Medien ausgeweitet habe. Der Künstler und Menschenrechtler nimmt das als einen Beweis dafür, wie wenig Vertrauen die Führung in ihre eigene Ideologie und in die Kontrolle der Öffentlichkeit hat. In diesem Zusammenhang lobt Ai die Entscheidung von Google, sich nicht dem chinesischen Zensursystem zu unterwerfen, als ein deutliches Signal für die Chinesen und die Welt – die Unterdrückung der Meinungsfreiheit zur Kenntnis zu nehmen.

Ai Weiweis grundsätzliche Haltung und seine jüngsten Stellungnahmen auf der einen Seite und die Verurteilung von Tan Zuoren auf der anderen zeigen, wie notwendig es ist, die Entwicklung in China kritisch zu beobachten und zugleich die Bürgerrechtler zu unterstützen. Deshalb erscheint die Entscheidung, Ai Weiwei im Herbst in Kassel mit dem “Glas der Vernunft” auszuzeichnen, als geradezu ideal und notwendig.

11. 2. 2010

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