Die GhK – Produkt oder Produzent städtischer Kultur?

Ringvorlesung „Der Funke des Geistes“, WS 98/99

Zur Wechselwirkung von Universität, Stadt und Öffentlichkeit

Thesen

I.Vorbemerkung

1) In Bezug auf die Lehrinhalte, Methoden und erfolgreichen Abschlüsse einer Universität ist es im Prinzip nebensächlich, an welchem Ort sich diese höchste Form der wissenschaftlichen Hochschule befindet.
2) Da langfristig allerdings jede Universität spezifische Qualitätsmerkmale entwickelt, sie sich mit bestimmten Autoritäten, Studienverläufen und Inhalten verbinden, kommt es dazu, daß der Name der Stadt, in der die Universität liegt, zum Kürzel für die Hochschule und deren Qualität wird.
3) Außerdem steigern oder mindern der Charakter der Stadt und der sie umgebenden Landschaft (mit ihren unterschiedlichen Werten für das Studium und die Freizeit) den Ruf einer Universitätsstadt.
4) Schließlich bezieht das ortsansässige, kulturell aktive Bürgertum aus der Tatsache, daß seine Stadt Universitätsstandort ist, einen Teil seines Selbstbewußtsein.
5) Entgegen der allgemein richtigen Feststellung von Satz 1 ist es also nicht ohne Belang, wo eine Universität steht.
6) Sie kann, wie der Historiker Wolfgang Mommsen 1990 in einem Vortrag über „Stadt und Kultur im deutschen Kaiserreich“ darlegte, das Eigengeschöpf städtischer (bürgerlicher) Kultur sein: Handelshochschule Köln, Medizinische Akademie Düsseldorf, Hamburger und Frankfurter Universität sind mäzenatische Stiftungen bzw. auf gemeinsame Initiativen des Bürgertums hin entstanden.
—-Die kulturellen Leistungen des Frankfurter besitzenden Bürgertums: Städel, Städelschule, Universität, Senkenbergsche Stiftungen. Erst in der Zeit, in der die GhK gegründet wurde, wurde die Frankfurter Uni zur Landes-Einrichtung.

II. Das Beinahe-Produkt städtischer Kultur

1) Als die GhK 1971 gegründet wurde, bemühte sich, wie Christoph Oehler 1981 in dem Band „Rückblick auf das erste Jahrzehnt“ schrieb, „nahezu jede größere kreisfreie Stadt mit kultureller Tradition …um die Gründung oder doch strukturelle Erweiterung von Hochschuleinrichtungen“.

2) Die GhK-Gründung war, wie bei Oehler und anderen nachzulesen, ein staatlicher Akt, dessen rasche Umsetzung heute atemberaubend wirkt, zumal das Land bis in die späten 60er Jahre gegen eine solche Gründung war.

3) Der Meinungswandel des Landes war auch durch die hartnäckigen Bemühungen der Stadt herbeigeführt worden. Karl Fritz Heise hat sie in dem erwähnten Rückblick-Band umfassend dokumentiert. Verfolgt man die Stationen nach, kommt man zwangsläufig zu dem Schluß: Die Kasseler Universität war ursprünglich mehr Produkt bürgerlicher Kulturbestrebungen als Instrument staatlicher Bildungspolitik. Zu dem traditionellen Motiv, in der eigenen Stadt eine wissenschaftliche Bildungsstätte für die heimische Wirtschaft und die regionalen Bildungsreserven zu schaffen, trat das verzweiflte Bemühen, die ins Abseits der Zonengrenze geratene Stadt neue Überlebenschancen zu ermöglichen. Wie intensiv die Bemühungen wren, dokumentiert die Vergabe eines Gutachtens an das Intitut für regionale Hochschulforschung (1969, Hannover). Der heute bestehende Hochschulbund ging aus den Gründungsinitiativen hervor.

4) Aber diese städtische Leistung hat sich nicht im Bewußtsein bleibend niedergeschlagen. Es ist, als hätte das Kind GhK nur die Landesmutter im Sinn, die Zeugenschaft des Vaters aber verdrängt. Wie konnte es dazu kommen?
a) Am Ende waren die von außen wirkenden Kräfte stärker
b) Man hatte sich eine Universität gewünscht, aber erst nur ein anonymes AVZ bekommen
c) Die Hochschule war lange weder richtig sichtbar noch greifbar
d) In den 70er Jahren dominierten hochschulintern politische Auseinandersetzungen (bis hin zur Kunst)
e) Inflation der Gesamt-Begriffe
f) Die traditionsreiche Werkakademie/ HbK war in dem neuen Gebilde untergegangen
g) Keine Autoritäten – keine Qualitäten?
Der Vater wollte sich, so schien es, eine Zeitlang gar nicht zu seinem Kind bekennen.

5) Die Folge ist, daß das Bewußtsein vom Wohl und Wehe „unserer“ Hochschule mühsam neu erarbeitet werden muß(te). Das hängt auch damit zusammen, daß man offenbar gehofft hatte, das städtische kulturelle Leben würde sich viel schneller mit den Professorinnen und Professoren der Universität auffüllen .

III. Zwischenbemerkung

Die Universität vor Ort soll nicht nur Bildungs- und Wirtschaftschancen mehren, sie soll solche Wissenschaftler versammeln, die dank ihrer Leistungen den Ruf der Stadt in die Welt tragen und die trotzdem ganz nah und greifbar sind.

Aber genau dies schien die GhK in den Anfangsjahren nicht zu leisten. Außerdem nützen die besten Pressemitteilungen über Forschungsleistungen dem städtischen Bürgertum nichts, wenn diese Erfolge nicht an Personen festzumachen sind.

IV. Die Produzentin städtischer Kultur

1) Stadt und Universität leiden, seit es zu diesem Bruch kam, aneinander. Oft wird die Ursache dafür in unzureichender Pressearbeit oder Publikation in den Medien gesucht. Aber die Suche erfolgt an der falschen Stelle. Selbst Ringvorlesungen wie diese erreichen die städtische Öffentlichkeit nicht. Hier leistet die Vermittlungsdienste – im vorpolitischen und vorwissenschaftlichen Raum – das Evangelische Forum.
2) Die Strukturen, Leistungen und Personalstämme der GhK haben sich gewandelt. Geblieben aber ist die Tatsache, daß viele Lehrende nur tageweise in Kassel sind, von den anderen Alltagsfragen also kaum etwas mitbekommen und folglich auch als Mitglieder oder Honoratioren in Vereinen und Gremien nicht zur Verfügung stehen.
3) Schwer wiegt dieser Nachteil dann, wenn sich der Ruf (die Prominenz) eines zur GhK gehörigen Wissenschaftlers/Künstlers mit einer anderen Stadt verbindet, weil er dort seinen Schreibtisch, sein Labor oder Atelier hat.
4) Kassel und Nordhessen bieten nicht den Wirtschaftsraum, der es vielen an der GhK Ausgebildeten möglich macht, im Schatten der Universität auch eine Existenz aufzubauen (Beispiel: fehlender Kunstmarkt).
5) Trotzdem ist die GhK zu einer beständigen Produzentin städtischer Kultur geworden. Sie wirkt vielfältig direkt in die Stadt und trägt zur Änderung (Verbesserung) bei:
a) Aus der GhK-Vorläuferin Werkakademie ging die documenta-Idee hervor, die langfristig tiefgreifende Folgen für das kulturelle Leben der Stadt haben sollte.
b) Kasseler Kunstverein und Neuer Kasseler Kunstverein
c) Filmladen, Bali, Caricatura
d) Forster-Gesellschaft
e) Offene Schule Waldau und Reformschule
f) Unterneustadt-Diskussion
g) Breitenau
h) Iset und andere Einrichtungen

V. Perspektiven

1) Die Ausgangslage ist besser, als sie sich anfangs darstellt.
2) Wenn Öffentlichkeit nicht länger als die Summe der regionalen Medien mißverstanden wird, kann das Verhältnis Universität-Öffentlichkeit-Stadt verbessert werden.
3) Am weitesten kommt man, wenn man das Bewußtsein, daß diese Stadt und die sie damals prägende Bürgerschaft die Gründung der Universität gegen den Willen des Landes wollten, sowohl innerhalb der GhK als auch innerhalb der Stadt weckt und pflegt.
4) Alle Hochschullehrer sollten im Wochenplan mindestens eine Stunde Öffentlichkeitsarbeit mit einplanen – Zeit, in der sie sich um kommunale/regionale Fragen kümmern und überlegen, wie auch ihr Wissensbereich städtisch wirksam gemacht werden kann.
5) Es müßten Strategien entwickelt werden, wie mehr Professoren zum Umzug nach Kassel bewegt werden können.
6) Theoretisch müßte ehrenamtliches Engagement in facheigenen Zusammenhängen (vor Ort) als Zeit gutgeschrieben werden.

Januar 1999

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