Das Jahr 1997 liegt noch in weiter Ferne, und angesichts der schmerzlichen Kulturkürzungen mag man gar nicht an ein millionenschwe¬res Ausstellungsprojekt wie die documenta 10 in Kassel denken. Gleichwohl drängt die Zeit: Jan Hoet, der künst¬lerische Leiter der vorigen doctunenta, war im Januar 1989 ausgeguckt worden, also dreieinhalb Jahre vor dem Eröffnungstermin; die Zeitspanne war nicht zu üppig.
Die Hoffnung nun, man könnte demjenigen, der die nächste documenta zu orga¬nisieren hat, einen ähnlich langen Vorlauf gewähren, ist wohl vergeblich: Die achtköpfige Findungskommission ist so hochrangig und international besetzt, daß sie erstmals überhaupt im Januar nächsten Jahres tagen kann. So wird es schon noch einige Zeit dauern; bis der Name verkündet wird.
Das Kuriose an der Situation ist, daß es im Vorfeld keiner anderen documenta so frühzeitig Spekulationen um den Namen gegeben hat wie in diesem Fall. Der Frankfurter Ausstellungsmacher und Direktor der Städelschule, Kasper König, wurde als erster ins Rennen geschickt. Dabei war allerdings nicht auszumachen, welche Motive dahinter standen. Sollten andere erst gar keine Chancen bekommen, oder war hinterlistig der Früh- als Fehlstart geplant?
Noch häufiger ist allerdings zu hören, nun endlich müsse eine Frau zur documenta-Leiterin bestellt werden. Die Zeitschrift „art“ präsentiert zum wiederholten Male Suzanne Pagé, die Direktorin des (städtischen) Pariser Museums für moderne Kunst.
Zum Glück ist die Findungskornmission, was die Geschlechterfrage angeht, paritätisch besetzt. So kann es also nicht passieren, daß eine Männerrunde eine Alibi-Kandidatin kürt. Die Sachentscheidung müßte Vorrang haben. Aber vielleicht ist erst einmal der Name der docu¬menta-Leiterin oder des -Lei¬ters gar nicht so wichtig, son¬dern müßte angesichts eines überdrehten Ausstellungsbooms zuerst über das zeitgemäße Konzept einer documenta nachgedacht werden. Gewiß ist doch, daß die Weltkunstschau inhaltlich nur dann überleben kann, wenn sie aus dem Kreislauf der Rekorde ausbricht. Wie wäre es denn, um nur ein Beispiel zu nennen, wenn wirklich einmal der immer wieder vorgetragene Plan realisiert würde, die documenta von ihren Ausuferungen zu befreien und als die Schau der 40 oder 50 Künstler zu organisieren?
HNA 3. 11. 1993