Ausstellung Fiand – Groß -Reinckens

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Frage nach dem Menschenbild ist eines der zentralen Themen der Kunst. Das gilt selbst für jene Phasen und Epochen, in denen die Kunst nur mit sich selbst beschäftigt schien. Denn die Farben und Formen beschwören auch dann noch Gefühle, Stimmungen und Situationen, wenn sie sich aus den gegenständlichen Zusammenhängen gelöst haben. In dieser Ausstellung, in der wir Werke von dem Bildhauer-Paar Kristina Fiand und Ernst Groß sowie der Malerin Christine Reinckens sehen, erleben wir sehr unterschiedliche Auseinandersetzungen mit dem Menschenbild, unterschiedlich auch deshalb, weil es selbst dann um das menschliche Selbstverständnis geht, wenn an die Stelle von Figuren Dinge treten und die Szene beherrschen.
Die drei Künstlerinnen und Künstler vereint ein Drang zum Erzählerischen. Bei Kristina Fiand und Ernst Groß mündet der Erzählstrom meist in einer humorvollen oder grotesken Pointe; bei Christine Reinckens hingegen verbirgt sich das Erzählerische oft unter der Oberfläche, in der Konstellation der Figuren und Dinge. Noch ein anderes verbindet die drei. Das ist die Souveränität, mit der sie ihre künstlerischen Mittel beherrschen und die sie folglich spielerisch einsetzen können.
Kristina Fiand und Ernst Groß betreiben in der dörflichen Abgeschiedenheit des Knüll einen Werkhof, in dem sie ihre Atelier- und Werkstatträume haben. Sie sind beide Holzbildhauer und arbeiten eigenständig. Doch sie verbindet nicht nur die gemeinsame Liebe zum Holz und die Lust, aus dem rohen Stamm Formen und Figuren herauszuschneiden, sondern eine gemeinsame Grundstimmung, aus der heraus die handfeste Plastik zur Karikatur werden kann.
Diese Gemeinsamkeit führt dazu, dass es zwischen beiden gelegentlich Berührungs- und Schnittpunkte gibt und unversehens eine gemeinsame Arbeit entsteht – wie die Holzstele Schnäppchenjäger, in der hoch oben auf einem Turm aus farbigen Zahlen ein Mann glücklich und erschöpft mit einer goldenen Tasche sitzt.
Die bis zu dreineinhalb Meter hohen Holzstelen erinnern an die aus Bauklötzen errichteten Türme, die so hoch aufgestockt werden, bis sie irgendwann aus dem Gleichgewicht geraten und umstürzen. Groß allerdings hat seine Türme fest gebaut. Schließlich sind sie aus einem Stamm herausgeschält, die Elemente sind verwachsen. Aber diese Türme parodieren die Denkmäler, auf denen normalerweise Herrscher und Gelehrte thronen. Sie entrücken die Personen, machen sie einerseits unnahbar und andererseits klein und unbedeutend. Wie bei der Stuhlstele lassen sie die Konstruktion wie einen gewagten Balanceakt erscheinen.
Völlig anders angelegt ist die massive Skulptur Hans im Glück. Diese Märchenfigur, durch die Tätowierung am Oberarm ganz Zeitgenosse, ist das Gegenstück zum Schnäppchenjäger. Je weniger er hat, desto glücklicher glaubt er sich. Und sein ganzes Schicksal, das mit dem Klumpen Gold seinen Lauf begann, ist aufs engste mit seiner Figur verwoben. Während der Oberkörper und Kopf aus dem Eichenbalken herauswachsen, sind wie bei einem Stationendrama die einzelnen Tauschsymbole aus dem Balken herausgearbeitet und farbig gefasst.
Schein und Haben ist die Ausstellung betitelt. Hans im Glück und der Schnäppchenjäger stehen genauso dafür wie die überdimensionale Geldbörse, die zur einen Seite prall gefüllt und zur anderen so gut wie leer aussieht. Ernst Groß liebt das Widersprüchliche. Wenn er ein Reliefbild mit verschiedenen Ebenen anlegt, die er farbig fasst, und in dem Bild schildert, wie ein Mann mit einem Laubgebläse eine Kröte bedroht, dann entsteht eine suggestive Wirkung. Das Relief Krötenwanderung amüsiert und überrascht durch die Alltäglichkeit.
Um Schein und Haben geht es auch in einer Serie von Kleinplastiken, die dem Traumauto Porsche gewidmet ist. Aber hier überwiegt der Schein. Das fängt damit an, dass die Porsches, die Symbole von Reichtum, Sportlichkeit und Schnelligkeit sind, in der Ausformung als geschnitzte und bemalte Holzobjekte unbeholfen und unbeweglich erscheinen. Zudem werden diese Sportwagen als Lastenträger und Zugmaschinen missbraucht. Sie verlieren das, was sie auszeichnet und können selbst dann nicht ihre Anziehungskraft wiedergewinnen, wenn einer von ihnen einen Schlitten aus dem Beuysschen Rudel nach Haus bringt. Zementiert wird die Unbeweglichkeit dadurch, dass die Autos auf Sockeln aus massivem Eichenholz stehen. Hier steht alles im Stau.
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Die Porscheserie von Ernst Groß stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Und sie befindet sich damit in unmittelbarer Nachbarschaft zu den 45 Zentimeter hohen Kleinplastiken von Kristina Fiand, die mittlerweile als Edekafrauen bundesweit geschätzt werden. Hundert dieser Frauenfiguren sollten es ursprünglich werden. Inzwischen rückt die Zahl Tausend mit großer Geschwindigkeit heran. Das Stereotyp, die Wiederkehr des Vertrauten, trug entschieden zu dem Erfolg bei. Aber genauso verdankt die Serie ihre Beliebtheit der Tatsache, dass es eben weder Wiederholungen noch Neuauflagen sind, sondern dass mit jeder weiteren Figur Neuland betreten wird.
Begonnen hatte die Geschichte ganz schlicht mit der Beobachtung der Frauen, deren Weg zum Einkaufen bei Edeka an dem Grundstück von Fiand/Groß vorbeiführte. Ihnen in ihrer Alltäglichkeit und Individualität ein kleines Denkmal zu setzen, war die Idee. Doch schnell verselbständigte sich das Projekt. Aus den unauffälligen dörflichen Frauen wurden extravagante Figuren mit schreiend bunten Kleidern, gewagten Brillen, ungewöhnlichen und ausdrucksstarken Gesichtern. Sie sind nicht lächerlich, haben aber eine Anlage zu einer leisen Komik. Sie stehen da, als müssten sie für einen Fotografen still stehen. Sie sind erstarrt und selbst erstaunt, was sie mit sich herumtragen.
Kristina Fiand ist beim Verfolg ihrer 2004 begonnenen Serie mehreren Grundprinzipien treu geblieben: Alle Figuren sind gleich groß und sind aus weichem (hellen) Lindenholz geschnitzt und farbig gefasst. Jede der Frauen trägt etwas in einer Hand oder mit beiden Händen, und alle wachsen direkt aus dem Sockel heraus, haben also keine Füße. Die Bildhauerin entschied sich für diese Lösung, um die Erdverbundenheit dieser Frauen zu betonen. Sie bleiben da, wo sie hingehören. Dabei ist der Kreis der dargestellten Frauen längst vergrößert. Die Figuren sind frecher und exotischer geworden und sie kippen ins Absurde um, wenn beispielsweise eine Frau einen Fisch in den Händen hält, der fast so groß wie sie selbst ist.

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Völlig ins Absurde und Groteske verfällt Kristina Fiand, wenn sie aus Ton und anderen formbaren Materialien Köpfe gestaltet, die sie teilweise bemalt und mit goldenen Löffeln als ausgefahrenen Ohren oder mit bunten Wasserpistolen dekoriert. Futumama-Modelle nennt Kristina Fiand diese Plastiken, bei denen mal Schwämme oder ein Kühl-Aggregat oder eine ostasiatische Vase den Sockel bilden. Das sind surreale Arbeiten, die dokumentieren, dass Kristina Fiand auch dann genügend Erzählstoff hat, wenn die Edekafrauen endgültig nicht mehr zum Einkaufen geschickt werden.
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Die Malerin Christine Reinckens ist 1992 dem Künstlersonderbund beigetreten, der sich zum Ziel gesetzt hat, die vom Kunstmarkt wenig geliebte realistische Kunst besser durchzusetzen und einen Austausch zwischen den Künstlern zu fördern. Ist Christine Reinckens also als eine realistisch arbeitende Künstlerin einzuschätzen? Wenn man sich mit ihrem Werk, so wie es hier präsentiert wird, auseinandersetzt, erkennt man bald, dass diese Kategorie nicht weiterhilft. Allein die Feststellung, dass sich die Künstlerin in allen ihren Bildern mit der sichtbaren Welt – mit den Menschen und ihren Dingen – auseinandersetzt, macht sie noch nicht zur realistischen Künstlerin.
Gewiss, Christine Reinckens skizziert, wo sie sich auch immer befindet, mit zupackendem Blick und schneller Hand – hier eine Rückenfigur, da einen Lesenden und dort eine Sonnenanbeterin am Strand. Auch ist sie der Wirklichkeit und damit einer imaginären Wahrheit verpflichtet, wenn sie auf Wunsch einer Zeitungsredaktion im Gerichtssaal den oder die Angeklagten porträtiert und zwar so, dass die Mimik nicht nur wie im Foto im Sekundenbruchteil festgehalten wird, sondern sich als Charakterstudie behauptet. Diese Fähigkeit zählt zu den Grundlagen ihrer künstlerischen Arbeit, ist aber mit ihr selbst nicht zu verwechseln.
Wie nähert man sich also der malerischen Welt von Christine Reinckens?
Vielleicht hilft als erstes weiter, wenn man feststellt, dass die Künstlerin die Menschen und Dinge aus dem Lebenszusammenhang herauslöst. Wir begegnen ihnen nicht als Bewohnern der natürlichen Welt, sondern in Räumen, in denen die Künstlerin souverän die Lichtregie führt und in denen sie frei über die Perspektiven verfügen kann.
Die zweite Antwort findet man, wenn man registriert, dass sie seriell arbeitet. Dem Einzelbild folgt die Reihe, und die Reihen sind so komponiert, dass sie sich als Einzelbilder behaupten können und gleichzeitig – aneinander geschoben – als durchlaufender Fries bestehen. Nach dem kühnen Experiment Variationen des Wartens entwickelte sie die Bilderfolge StehenGelassen. Oder nehmen Sie die verschiedenen Schuhbilder in dieser Ausstellung: der Schuhberg in der Kohlezeichnung, der sowohl an einen Fundus als auch an Aussonderung und Deportation denken lässt, die schmalen Schuhregale, in denen klare Ordnung herrscht, oder die Schuhe, die sich selbständig machen, als wollten sie ohne die passenden Füße ein Tänzchen wagen (wie in den drei Bildern Wegbeschreibung).
Die dritte Antwort ergibt sich, wenn man erkennt, dass die Malerin keinesfalls in immer gleicher Weise den Pinsel führt oder die Farben setzt, sondern dass sie mit den malerischen Möglichkeiten spielt, hier eine Partie sorgfältig ausmalt und dort großzügig die Farben aufträgt oder die Komposition zum unteren Ende hin offen lässt. Sie sucht für sich die Spannung und das Abenteuer, um der Routine zu entgehen. Hat man das erst einmal begriffen, dann tritt das Bildmotiv in den Hintergrund und dann drängt sich das Wesentliche, nämlich die wechselnde Sprache der Malerei, nach vorn. Der Realismus-Begriff löst sich auf – auch gerade vor dem Hintergrund, dass sie ihre Meisterschaft mit den zerbrochenen Eierschalen (Bruchstellen) ausreichend unter Beweis gestellt hat.
Die vierte Antwort schließlich weist ins Inhaltliche. In Christine Reinckens Bildern geht es um Beziehungen und Wahrnehmungen, um Nähe und Distanz, um Zuwendung und Selbstbefragung, es geht um die Zeit, die unerbittlich verrinnt oder die überstanden werden muss, um Erwartungen und Ratlosigkeit, um Melancholie und Verlorenheit. Aber es gibt in dieser Bilderwelt auch eine gut gehütete und leicht verborgene Schicht aus Ironie und Humor. Die dargestellten Personen sind nur Vorwand, nur Mittel zum Zweck. Gelegentlich geben die Titel einen Hinweis auf die Zeit und die Beschäftigung mit ihr – wie bei den Gemälden aus der Reihe Au fil du temps (Im Lauf der Zeit), in denen zu sehen ist, wie zwei Frauenbeine die Spur eines roten Fadens aufnehmen und ihr wahrscheinlich folgen oder wie sich eines von zwei auf einer Bank liegenden Mädchen den roten Faden aufnimmt.

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Auch in der zehnteiligen Serie StehenGelassen gibt die Zeit den Ton an. Die Figuren sind weder abgestellt noch leiden sie unter dem Warten. Sie schauen herausfordernd in die Welt beziehungsweise in sich gekehrt. In dem Titel StehenGelassen steckt das treffende Wort gelassen. Ja, sie wirken gelassen und sind dabei voller Dynamik, wie sie durch ihre Bein- und Körperhaltungen bekunden. Der Raum, in dem sie stehen, ist nur knapp, aber ausreichend definiert: Eine durchgehende Kante im unteren Viertel zeigt, dass sie vor einer Wand stehen, auf die ihre Schatten fallen und an die sie sich anlehnen können. Auch in diesem Fall funktioniert die Bilderreihe ebenso gut als ein geschlossener Fries wie als lockere Abfolge von Einzelfiguren sowie von Zweier-, Dreier- und Vierergruppen. Die gestufte Hängung allerdings verstärkt noch einmal die Dynamik. Die zwei lebensgroßen Fassungen, die Motive aus der Serie der Kleinformate übernehmen, bekräftigen das

Besondere Anziehungskraft gewinnen die Bilder durch den scheinbaren Verzicht auf Farbigkeit und die Reduktion auf Schwarz-, Grau- und Weißtöne – eine Malweise, die man als Grisaille-Technik bezeichnet. Allerdings muss man den aus der Ferne gewonnenen Feststellung schnell Abschied nehmen, wenn man sie genauer betrachtet. Denn auf einmal sieht man, wie sich die weiß-grau-schwarze Oberfläche aufreißt und aus der Tiefe rötliche Töne hervordringen. So blickt man fasziniert auf farbige Schatten, und beim zweiten Hinsehen merkt man, dass in den Kleinformaten die rötlich-braunen geradezu dominant werden. In den unteren Schichten sind die Bilder aus einer lebhaften Buntheit aufgebaut, die dann aber allmählich dunkel zugemalt wurde – ohne dass die Malerin, wie sie stolz versichert, kein Schwarz verwendet hat.

Wie spielerisch sie manches angeht, ist an dem Gemälde Durcheinander abzulesen. Man blickt in eine Kiste, die bis oben mit Puppen gefüllt ist. Fast ein erschütterndes, apokalyptisches Bild, aber auch ein gewöhnliches Chaos, in das die Malerin kurz vor der Ausstellung noch ein wenig Ordnung brachte, indem sie den weiblichen Puppen rote Schuhe an die Füße malte. Überhaupt fasziniert, wie die Malerin mit den Farben umgeht. Die Körperfarben haben ihren Glanz verloren, sie scheinen leicht verblasst zu sein. Nur einige wenige Puppenköpfe hat die Malerin durch wärmere und frischere Farbenaus der Masse herausgehoben. Und nur einen Kopf hat sie so akzentuiert, dass uns dieses Gesicht mit seinen großen Augen fragend ansieht.

Christine Reinckens inszeniert, sie schafft Konstellationen, Paarbeziehungen am liebsten, um die Gesichter und Körper in Beziehung zu setzen, zu spiegeln, geschwisterlich zusammen zu bringen oder voneinander abzusetzen. Stimmungen werden erzeugt, oft wird mehr verhüllt als offenbart. In dem schmalen Querformat Blickrichtung etwa dominieren die Falten werfende rote Decke und der blaue Horizont das Bild. Unsere ungeteilte Aufmerksamkeit richtet sich aber auf die beiden Frauen, die einander den Rücken zukehren und deren Köpfe man gerade erkennt. Ein Bild der Harmonie oder die Folge eines Streits? In Kommen und Gehen begegnen wir einem Mädchen gleicht doppelt Sie schaut in sich gekehrt und in dem linken Bildteil eher melancholisch, im rechten eher kritisch und abwehrend. Die leere Fläche zwischen ihnen füllt der verdoppelte Schatten des rechten Kopfes, so dass wir gleich vier Aspekte des Kopfes betrachten können. Der linke Blick geht durch uns hinweg, der rechte scheint von uns nicht viel zu erwarten. Es ist übrigens das einzige hier gezeigte Werk, in das eine Landschaftsdarstellung eingebunden ist. In Der zweite Blick sehen wir ebenfalls eine junge Frau zweimal. Sie blickt auf die Betrachter, vor denen sie sich allerdings eher verbergen als zeigen will. Sie sucht Halt und findet ihn scheinbar in der Säule, an die sich hält. Die Malerin hat der Säule jedoch die Festigkeit genommen hat, indem sie gerade an dieser zentralen Stelle die Malerei öffnete und die Farbe in vielen Bahnen runter laufen ließ. Aber es gibt auch Bilder der Unbeschwertheit und der Natürlichkeit wie in dem Porträt Viola oder der zauberhaften Komposition Gegenläufig.
11. 4. 2014

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