documenta auch noch 2055?

Zu einer Diskussion während der Art Dubai

Als Jan Hoet im Februar 1990 zu einem Gesprächsmarathon in sein Museum in Gent einlud, war in Kassel die Empörung groß. Die documenta sei eine Kasseler Ausstellung, also müsse auch die Vorbereitung auf die Kunstschau in Kassel erfolgen. Oder werde damit die Abwanderung vorbereitet?
Gäbe es heute ähnliche Bedenken? Eher nicht. Denn mittlerweile haben die Kasseler wohl gelernt, dass für solche Befürchtungen kein Platz ist. Eher muss umgekehrt gedacht werden: Die Kasseler Ausstellung documenta ist international derart etabliert, dass rund um den Globus über sie gesprochen wird.
Hoets Gent-Ausflug mit einer großen Schar von Kunstjüngern war ein erster Beweis dafür, dass die internationale Szene die Kasseler documenta als einen festen Bestandteil ihrer selbst begriffen hat. Fünf Jahre später setzte Catherine David in anderer Form diese Linie fort: Sie lud aus aller Herren Länder Künstler, Kuratoren, Politiker, Philosophen, Dichter und Wissenschaftler in ihre Gesprächsreihe „100 Tage – 100 Gäste“ ein Sie wurden zu Delegierten ihrer Länder und Kulturen, um der documenta die Ehre zu erweisen.
Im Vorfeld der Documenta11 etablierte Okwui Enwezor Diskussionsplattformen, die aus Europa bis nach Indien und Afrika reichten. Fünf Jahre später untermauerte Roger Buergel seine documenta-Konzeption mit weltweiten Diskussionen mit Künstlern, Galerien und Kunstzeitschriften. So breit wie in der Phase ist vorher und nachher nie wieder über documenta gesprochen worden. Und zur dOCUMENTA (13) schuf Carolyn Christov-Bakargiev ein Netzwerk, das Kassel mit Kanada, Kairo und Afghanistan verband und dazu führte, dass erstmals Ausstellungselemente nicht in Kassel zu sehen waren.
Die Entwicklung ist konsequent und unumkehrbar. So wie seit Ende der 60er Jahre die Leitung der documenta immer häufiger mit nichtdeutschen Kuratoren besetzt wurde, so wird die Diskussion über die documenta – ihre Rolle und ihre Zukunft – nicht mehr bloß in Kassel und Deutschland, nicht mehr nur in Europa, sondern weltweit geführt. Die Kasseler documenta könnte zwar, wie Adam Szymczyk anlässlich der Art Dubai sagte, im Prinzip überall stattfinden, doch muss man klar sehen, dass die Kasseler Ausstellung als ein weltweites Kulturerbe akzeptiert und gepflegt wird.
Wenn also jetzt wie im März 2014 zur Art Dubai eine Diskussionsrunde einberufen wird, um über die Fragen zu sprechen, welche Leistungen die documenta gebracht hat, welche Zukunft sie im Zeitalter der Biennalisierung von Kunstaustellungen hat, welche Rolle das Archiv spielt und was es mit den Spaziergangwissenschaften eines Lucius Burckhardt auf sich hat, dann kann und muss man schließen, dass der documenta-Stern auch in Arabien leuchtet.
Hans Ulrich Obrist hatte Catherine David, Okwui Enwezor und Adam Szymczyk um sich versammelt. Und vor dem Hintergrund der Frage, ob denn auch noch 2055 eine documenta vorstellbar sei, war nicht zu erwarten, dass in diesem Teilnehmerkreis das Ende der documenta beschworen würde. Die Diskussion, die dem wenige Tage zuvor gestorbenen Jan Hoet gewidmet worden war, drehte sich allerdings weniger um die Zukunft als um die Vergangenheit. Catherine David ordnete die documenta als Event ein. Immerhin hatte sie mit der Reihe „100 Tage – 100 Gäste“ kräftig dazu beigetragen.
Mit Lob überschüttet wurde sie von Enwezor, für den es in der documenta-Geschichte drei überragende Persönlichkeiten und damit auch Einschnitte gab – Arnold Bode, Harald Szeemann und Catherine David.
Ja, es ist schon eine famose Sache, zu wissen, dass ohne uns in Kassel irgendwo in Dubai ein Gespräch darüber geführt wird, wie man in Kassel vom Parcours zum Spaziergang kommt.

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