Und doch eine Institution

Arnold Bode verwahrte sich dagegen, die documenta eine Institution zu nennen, sie war für ihn eine Anti-Institution und gehörte zum Anti-Establishment, wie er 1968 im Katalog zur documenta 4 angesichts der Studenten- und Künstler-Revolte schrieb: „Zum Establishment gehört auch diese documenta nicht – wie wir meinen. Was ihre Bedeutung ausmacht, ist wohl die Tatsache, daß die documenta nicht als etablierte Institution existiert. Alle vier Jahre tritt sie auf den Plan, ist sie da! Die Idee der documenta muß jedes Mal neu formuliert werden; ihr Programm und ihre Form.“ Nach Bode wird eine documenta nicht verwaltet, organisiert oder gar gemanagt, sondern sie ereignet sich bzw. wird zum Ereignis.
Das schrieb Bode vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es keine ständige Geschäftsführung gab und nach jeder Ausstellung die documenta-Büros aufgelöst wurden. Erst 1974 wurde eine permanente Geschäftsführung (mit halber Stelle) eingerichtet. Seit 1989 gibt es hauptamtliche Geschäftsführer. Aus dieser Verstetigung ergab sich ein Zwiespalt: Die documenta als Ausstellung will anti-institutionell bleiben, braucht aber ein dauerhaftes und zuverlässiges Fundament. Sie soll der künstlerischen Leitung einen uneingeschränkten Freiraum garantieren, muss sich aber gleichzeitig immer mehr an professionellen Kriterien eines „Eventmarketings“ orientieren.
Die Geschichte der documenta beginnt 1955 als Beiprogramm zur zweiten Bundesgartenschau. Um diese Ausstellung zu organisieren, gründete Arnold Bode 1954 zusammen mit Kasseler Freunden den eingetragenen Verein „Gesellschaft Abendländischer Kunst des 20. Jahrhunderts e. V.“ Erst mit der zweiten documenta 1959 wurde die Ausstellung zu einer öffentlichen Institution, als die Stadt Kassel eine gemeinnützige GmbH gründete, die seit 1961 auch vom Land Hessen als Gesellschafter mitgetragen und mitfinanziert wird. Der Bund förderte die documenta von Anfang an; seit 1988 lief die Mitfinanzierung über die Kulturstiftung der Länder und seit 2005 über die Kulturstiftung des Bundes.
Als Organe hat die documenta GmbH die Gesellschafterversammlung, den Aufsichtsrat und die Geschäftsführung. Die Stadt Kassel und das Land Hessen entsenden jeweils fünf Vertreter in den Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender satzungsgemäß der Kassel Oberbürgermeister ist. Seit 2005 sind auch zwei Vertreter der Kulturstiftung des Bundes Mitglied in diesem Gremium, das sich nie in künstlerische Fragen einmischt. Seit der fünften documenta ist jede documenta geprägt von der Idee und dem persönlichen Konzept des jeweiligen Kurators.
Im Oktober 1986 wurde die documenta GmbH in die „documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH“ umgewandelt, da im Museum Fridericianum Ausstellungen zeitgenössischer Kunst zwischen den documenta-Ausstellungen in Verantwortung einer eigenen Künstlerischen Leitung gezeigt werden. Dieses Konzept trägt dazu bei, die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst auf höchstem Niveau dem Publikum auch außerhalb der documenta zu ermöglichen. Seit 1997 verbindet die Stadt Kassel den Namen der Weltkunstausstellung mit ihrem Namen und nennt sich „documenta-Stadt Kassel“.

Auch bei der documenta 14 bleiben die Verantwortlichen bei dem seit 1972 praktizierten Konzept, die Leitung einmalig einem Ausstellungsmacher oder einer Ausstellungsmacherin zu übertragen. Der Aufsichtsrat wählt vier Jahre vor dem Ausstellungsstart eine international besetzte achtköpfige Findungskommission, die sich in einer mehrtägigen Sitzung zunächst mit der Analyse der bisherigen Ausstellungen und der Erarbeitung von Kriterien für die Suche nach potentiellen KandidatInnen für die Künstlerische Leitung der nächsten documenta befasst. Drei Monate später wird in einem weiteren Arbeitsgespräch die Kandidatenliste erarbeitet. Sechs KandidatInnen werden eingeladen, am Auswahlprozess teilzunehmen und ein Konzept vorzulegen. Wiederum drei Monate später finden persönliche Gespräche zur Erörterung der Dossiers mit diesen sechs KandidatInnen statt. Diese Interviews werden mit drei der sechs KandidatInnen am folgenden Tag fortgesetzt. Nach eingehender Diskussion wird dem Aufsichtsrat eine Kandidat oder eine Kandidatin zur Wahl vorzuschlagen. Der Aufsichtsrat folgt dem Vorschlag der Kommission und wählt den künstlerischen Leiter oder die Leiterin.

Die große Freiheit, die der Aufsichtsrat der Künstlerischen Leitung einräumt, sowie die lange Vorbereitungszeit sind wesentliche Aspekte des Erfolges der documenta. Nicht nur die jeweilige inhaltliche Ausrichtung wird von der Künstlerischen Leitung gestaltet, sondern die generelle Aufgabenstellung der Institution documenta wird jeweils untersucht, historisch eingeordnet und möglicherweise neu definiert.

Arnold Bode erklärte 1972 in einem Interview: „Risiko und Abenteuer gehören dazu. Jede kreative Handlung ist ein Schritt ins Ungewisse. Am Anfang sind immer Ideen und Ahnungen. Die Realisation bringt Verluste mit sich.“ 1976 formulierte er als Aufgabe für die Künstlerische Leitung, aber auch für die gesamte Organisation eine Handlungsmaxime, der sich die Mitwirkenden immer wieder zueigen gemacht haben: „Es genügt nicht, das Machbare zu machen, man muß auch das Mögliche ermöglichen. Sonst wird man provinziell und bürokratisch.“
Jede documenta setzt neue Maßstäbe, ist so anspruchsvoll und einzigartig wie ihre KünstlerInnen und KuratorInnen, die ihre Vorstellungen dieser Weltkunstausstellung in künstlerischer Freiheit verwirklichen können. Dies zu ermöglichen, ist „documenta-Arbeit“ und „documenta-Alltag“.

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