Die Verstetigung der documenta als Ziel

Dirk Schwarze im Gespräch mit documenta-Geschäftsführerin Annette Kulenkampff und ihrem Vorgänger Bernd Leifeld

Zum 1. April 2014 hat die bisherige Verlegerin des Hatje Cantz Verlages, Annette Kulenkampff, die Geschäftsführung der documenta GmbH in Kassel von Bernd Leifeld übernommen, der zum 1. Januar 1996 in dieses Amt berufen worden war. Die documenta GmbH wird von der Stadt Kassel und dem Land Hessen getragen und von der Bundeskulturstiftung gefördert. Zu den Aufgaben der Geschäftsführung zählen auch der Betrieb der Kunsthalle Fridericianum sowie die Verwaltung der documenta-Halle.
Annette Kulenkampff, 1957 in Hannover geboren, studierte in Frankfurt Kunstgeschichte. Sie war von 1981 bis 1988 Teilhaberin der Galerie Gering-Kulenkampff. Von 1989 bis 1994 leitete sie die Publikationsabteilung der Bundeskunsthalle Bonn. 1995 wechselte sie zum Verlag Gerd Hatje, und war von 1997 bis verlegerische Geschäftsführerin des Hatje Cantz Verlages.
Bernd Leifeld, 1949 in Heggen/Olpe geboren, studierte Theaterwissenschaften und Germanistik. Er arbeitete als Theaterregisseur und Dramaturg. Von 1980 bis 1983 war er erst Dramaturg und dann Schauspieldirektor am Staatstheater Kassel. Von 1984 bis 1991 war er Intendant in Tübingen, bevor er Lehraufträge übernahm und von 1993 bis 1995 als Dramaturg und Schauspieldirektor am Theater Basel arbeitete. 1996 wurde er als documenta-Geschäftsführer nach Kassel geholt.

Dirk Schwarze: Es hat kürzlich zur Art Dubai eine Diskussion gegeben, die auch der Frage nachgehen sollte, ob es noch in 40 Jahren, also 100 Jahre nach der Gründung, die documenta geben werde. Haben Sie sich vorher jemals eine solche Frage gestellt?
Leifeld: Aus meiner Sicht ist die documenta eine so starke Institution, dass man sich diese Frage gar nicht stellen muss. Das hängt damit zusammen, dass sie den Kern zur Erneuerung in sich trägt. Die Innovation ist Bestandteil des Prozesses. Von daher ist sie zukunftsträchtig.
Kulenkampff: Ich bin sicher, dass die documenta über so viel Potenzial verfügt, dass sie ihren 100. Geburtstag feiern wird. Es gibt heute über 200 Biennalen weltweit, die aber alle nicht im Entferntesten den Rang der documenta haben. Die documenta, die zuletzt von knapp einer Million Besucher in 100 Tagen gesehen wurde, hat mit ihrem Setzungsanspruch mit jeder neuen Ausgabe die Ausstellungspraxis der folgenden Jahre verändert.
Leifeld: Zu Beginn des Videos von der Art Dubai sagt der Moderator, die documenta als Institution müsse man ja nicht besonders vorstellen. Das zeigt, welche Bedeutung die Ausstellung heute international hat. Im Übrigen haben wir mit der Internationalisierung schon bei der documenta X durch das Programm 100 Tage – 100 Gäste begonnen, zur Vorbereitung der documenta 11 „Plattformen“ auf allen Kontinenten organisiert, bei der documenta 12 das internationale Magazinprojekt initiiert und bei der documenta 13 eine Ausstellung in Afghanistan parallel zur Kasseler Präsentation gezeigt.
Herr Leifeld, gab es zu Ihrer Zeit einen Moment, in dem Sie dachten, so geht es nicht weiter, diese documenta kommt nicht in die Pötte?
Leifeld: Permanent passiert so etwas. Entscheidend ist nur, dass man die strittigen Fragen hinter geschlossenen Türen auskämpft und nicht auf dem Marktplatz.
Und das Dichthalten ist gelungen?
Leifeld: Ja, ich denke. Es wurde beispielsweise nicht öffentlich diskutiert, dass ich mit einem Künstlerischen Leiter einen Streit über die Größe der Ausstellungsflächen hatte oder mit einem anderen über den Neubau eines Ausstellungsgebäudes. Wenn die künstlerischen LeiterInnen bestimmte Vorstellungen haben, die nicht mit dem Etat überein zu bringen sind, dann muss man gemeinsam Lösungen finden. Für die finanziellen Ergebnisse ist aber letztlich der Geschäftsführer oder jetzt die Geschäftsführerin verantwortlich.
Kulenkampff: Ich glaube, dass man sich bei so etwas Großem und Großartigem wie der documenta hinter den Kulissen streiten kann und muss. Es geht um die Reputation, um den Einsatz für die zeitgenössische Kunst, um Verantwortung und um Geld. Ohne ernsthafte Auseinandersetzung ist eine solch außergewöhnliche Veranstaltung nicht zu realisieren, wie es die Vergangenheit immer wieder gezeigt hat.
Leifeld: Konflikte mit der künstlerischen Leitung sind strukturell programmiert:, denn nur der Geschäftsführer bzw. die Geschäftsführerin unterzeichnet sämtliche Verträge, nicht der Künstlerische Leiter oder die Leiterin. Deshalb kann es schon sein, dass die Geschäftsführung erst dann einen Vertrag unterzeichnet, wenn die finanziellen Konsequenzen kalkulierbar sind.
Kulenkampff: Die Geschichte mit Harald Szeemann, der 1972 für das, übrigens einmalige, Defizit der documenta 5 persönlich haften sollte, wäre heute nicht mehr denkbar. Denn wenn es heute tatsächlich ein Verschulden gäbe, würde die Geschäftsführung zur Rechenschaft gezogen werden, nicht aber die künstlerische Leitung.
Das hing natürlich auch damit zusammen, dass damals der Geschäftsführer eher ein Büroleiter war. Bleiben wir noch einen Moment bei der Finanzierung. Herr Leifeld, Sie haben immer betont, dass der documenta-Etat nur zu einem kleineren Teil öffentlich finanziert werde, zu einem größeren Teil durch eigene Einnahmen und Sponsoren. Diese selbst erwirtschafteten Gelder sind am Anfang nicht genau bezifferbar. Trotzdem braucht der Künstlerische Leiter einen verlässlichen Finanzrahmen. Weiß Adam Szymczyk, dass er nicht mehr als 30 Millionen Euro ausgeben darf?
Leifeld: Die Frage ist falsch herum gestellt. Er weiß, dass er ein Budget von ungefähr 30 Millionen für fünf Jahre hat…
Kulenkampff: … unter der Voraussetzung, dass zu seiner documenta die Erwartungen, die vom Budget vorgegeben sind, auch erfüllt werden. Das bedeutet: Man rechnet mit etwa einer bestimmten Anzahl an Besuchern, die so und so viel Eintritt bezahlen und die so und so viele Kataloge und Kurzführerkaufen und es gibt die notwendigen Sponsoren. Die Grundfinanzierung durch die Stadt Kassel, das Land Hessen und die Bundeskulturstiftung betrug zuletzt 10,6 Millionen. Das ist für eine Ausstellung dieses Formats zu wenig. Man benötigt ein Budget von 25 und 30 Millionen Euro. Ein Drittel Grundfinanzierung durch die öffentliche Hand ist da kein ausgewogenes Verhältnis. Die Abhängigkeit der documenta von Besucherzahlen und Sponsoren ist nicht ungefährlich. Das Risiko, dass das nötige Geld nicht zusammenkommt ist bei einer relativ geringen Grundfinanzierung hoch.
Leifeld: Ab einem gewissen Punkt ist das gar nicht mehr steuerbar. Denn der größte Sponsor ist der Besucher: Wir nehmen schließlich durch die Eintrittsgelder mehr ein, als durch Stadt, Land und Bund bereitgestellt werden.
Kulenkampff: Es wird gern betont, die documenta habe nicht das Ziel immer mehr Besucher anzulocken. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Man kann leicht weniger Besucher fordern. Wenn man aber mehr zahlende Gäste braucht, um die Finanzierung zu sichern, befindet man sich in einem Dilemma, das dauerhaft nur durch höhere Zuschüsse der öffentlichen Hand gelöst werden kann. .
Die Besucherströme gefährden ja auch das Ausstellungserlebnis. Schließlich wollen die Besucher das Gefühl haben, zumindest für einen Moment mit dem Kunstwerk allein zu sein.
Kulenkampff: Das ist das andere Problem, dass eigentlich mit der Besucherzahl von knapp einer Million das vertretbare Maximum erreicht ist. Zum Vergleich: Die letzte Biennale in Venedig hatte 470.000 und alle anderen Kunstbiennalen liegen zwischen 30.000 und 150.000 Besuchern. Auch in dieser Hinsicht ist die documenta unerreicht. Natürlich möchten wir gern weltweit mehr Menschen für die Kunst begeistern und ihnen das Erlebnis der documenta ermöglichen, aber die Grenzen ihrer Kapazität waren bei der 13. Ausgabe schon deutlich spürbar. .
Leifeld: Das ist auch eine dramaturgische Aufgabe: Die künstlerische Leitung steht vor der Frage, wie sie die Ausstellung so präsentieren kann, dass ein Besucher, der nur einen Tag Zeit hat, das Wesentliche erfährt, das Rückschlüsse auf das Ganze erlaubt und Neugier weckt zum Wiederkommen.
Aber noch einmal zum Budget und zu der Frage, welche Vorgaben es für die künstlerische Leitung gibt.
Leifeld: Es gibt einen Fünf-Jahres-Plan, in dem die Zuschüsse von Stadt, Land und Kulturstiftung des Bundes stehen. Außerdem gibt es ein Einnahme-Soll im Bereich der Eintrittskarten sowie ein Einnahme-Soll im Bereich der Sponsoren und internationalen Foundations.
Kulenkampff: Die offenen Fragen welche Kunstprojekte gezeigt werden, und woher die Künstler kommen, können häufig erst spät beantwortet werden. Die Pro Helvetia zum Beispiel kann man nur um Unterstützung bitten, wenn auch Schweizer Künstler dabei sind und wenn man weiß, welche Werke sie planen.
Ist eigentlich der Eindruck richtig, dass viele Kasseler immer noch nicht richtig kapiert haben, was documenta eigentlich bedeutet?
Leifeld: Ich habe das Gefühl, dass es inzwischen alle verstanden haben, zumindest im Jahr der documenta. Man muss nur aufpassen, dass das Interesse nicht nachlässt. Das werden wir ja sehen, ob wir bei der Verstetigung der documenta durch den Aufbau eines documenta-Institutes auch die öffentliche Unterstützung haben werden.
Nun gehört ja zum Aufgabenbereich der Geschäftsführung die Verwaltung der Kunsthalle Fridericianum, die früher immer wieder um ihre Existenz kämpfen musste. Hat sich denn die Absicherung der Kunsthalle verbessert?
Kulenkampff: Ja, eindeutig. Die internationale Bedeutung des Fridericianums ist unbestritten. Es gehört zu den wichtigen Orten zeitgenössischer Kunst in Deutschland.
Leifeld: Die Existenzfrage wird nicht mehr gestellt. Das hängt natürlich auch mit der Arbeit der künstlerischen Leitung zusammen. Ob René Block, Rein Wolfs oder Susanne Pfeffer – sie alle haben Ausstellungen auf höchstem Niveau präsentiert.
Was heißt denn Verstetigung von documenta?
Leifeld: Zur Verstetigung gehört auch das Präsentmachen von Archivalien, die es im documenta Archiv gibt. Dazu wird das Archiv zu einem wissenschaftlichen Institut ausgebaut, in dem aus der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Materialien Formate entwickelt werden für den wissenschaftlichen Diskurs, aber auch für die Vermittlung in die Öffentlichkeit z. B. durch Ausstellungen und Symposien. So arbeitet zum Beispiel Dorothea v. Hantelmann, die eine – leider noch zeitlich begrenzte – Gastprofessur zu Fragen der documenta und des documenta Archivs an der Kunsthochschule Kassel innehat, zur Zeit an Fragen der Ausstellungspräsentation anhand der Geschichte der documenta.
Kulenkampff: Es gibt viele Ansätze für eine stärkere Präsenz der documenta auch in der documenta-losen Zeit in Kassel.. Das beginnt mit den hier verbliebenen großartigen Kunstwerken vergangener documenta-Ausstellungen, die mehr Beachtung verdienen und zu größeren Strahlkraft gebracht werden sollen. Dann gibt es Anlässe wie das 60. Jubiläum der documenta im nächsten Jahr, das mit einer großen Marcel Broodthaers-Ausstellung im Fridericianum, einem hochkarätig besetzten Symposium zur Außenwirkung der documenta, und Performances, die auf die documenta Geschichte eingehen, gefeiert wird. Darüber hinaus wird es im Stadtmuseum eine Ausstellung geben, die sich mit den nichtrealisierten documenta-Projekten im Außenraum beschäftigt. Das ist eine konzertierte Aktion, die am 15. Juli 2015, dem Eröffnungstag der ersten documenta 1955, starten soll. Für das nächste Jahr ist zudem die Überführung des documenta Archivs unter das Dach der documenta GmbH geplant. Das ist ein ganz wesentlicher Schritt, der dazu beiträgt, dass das Archiv finanziell besser aufgestellt wird und einen größeren Handlungsspielraum erhält. Zur Verstetigung zählt auch die Umwandlung der documenta-Gastprofessur an der Kunsthochschule in eine ordentliche Professur.
Warum tut sich das Land Hessen so schwer, in die Trägerschaft des Archivs einzutreten? Schließlich sind doch die Akten, die von der documenta-Geschäftsführung abgegeben werden, zur Hälfte Landeseigentum.
Kulenkampff: Die Bedeutung des Archivs ist den politisch Verantwortlichen vielleicht nicht immer so gegenwärtig. Dabei ist das Archiv, das Arnold Bode, weitsichtig wie er war, schon 1961 ins Leben gerufen hat, ein weltweit einzigartiger Ort für die Erforschung der Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Pflege, der Ausbau und die Zugänglichmachung des documenta Archivs stellt nicht nur eine Verpflichtung für die Stadt Kassel und das Land Hessen dar, sondern ist eine bundesweite, um nicht zu sagen, eine europäische Aufgabe.
Leifeld: Man kann es jetzt positiv sehen: Der Ausbau des documenta Archivs steht nach jahrelangen Bemühungen auf unterschiedlichen Ebenen im Koalitionsvertrag der hessischen Landesregierung. Wir können also frohen Mutes sein.

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