Der Künstler als Modellfigur

Der Kasseler Kunsthochschuiprofessor Urs Lüthi (Jahrgang 1947) vertritt auf der am Samstag inVenedig beginnenden Biennale die Schweiz. Lüthis Ausstellung ist eine Art Rückschau mit einer überraschenden neuen Arbeit.

„Art for a better life“ – Kunst für ein besseres Leben verheißt an der Stirnwand ein weißer Schriftzug auf türkisfarbenem Grund. Davor auf einem Sockel liegend der glatzköpfige Künstler selbst. Er hat sich überlebensgroß und hyperrealistisch in eine Skulptur verwandelt, die irgendwo zwischen Selbstversunkenheit und Melancholie anzusiedeln ist. Da liegt ein Mann, dessen Haut ihn älter wirken lässt, als er tatsächlich ist, mit Sonnenbrille und einem Freizeitdress in fast kindlicher Manier auf dem Boden, um aus seiner linken Hand einen roten Ball fallen zu lassen. Der Ball liegt unten, die Hand ist noch in die Luft gestreckt. Die Gestalt ist in dieser Haltung eingefroren.
In geradezu konsequenter Manier schließt der Schweizer Künstler, der seit 1994 an der Kasseler Kunsthochschule lehrt, den Kreis. Direkt daneben an der Wand hängen nämlich Lüthis Bilder aus den 70er-Jahren, in denen er sich ebenfalls porträtiert hat. Die alten Bilder, die auf kleinen Polaroid-Aufnahmen basieren, hat er neu bearbeitet und mit Hilfe der digitalen Technik aufgeblasen und als Kultobjekte an der Wand installiert. Damals posierte er allerdings nicht mit Glatze, sondern mit langem, üppigem Haar, den Dandy, die Diva oder den Transvestiten spielend.

Hat Urs Lüthi kein anderes Thema als sich selbst? Hat er schon. Ihm geht es um die Spiegelung des Lebens, der Träume und Sehnsüchte, der schwierigen Selbstfindung. Dafür nimmt er aber keine anderen Figuren, sondern setzt sich selbst schonungslos als Modellfigur ein. Kunst für ein besseres Leben: Ist er oder sind die Verhältnisse dadurch besser geworden, dass er sich ein radikal realistisches Denkmal setzte? Natürlich nicht, denn wie so vieles in Lüthis Werk versteht man die Skulptur nicht, wenn man keinen Sinn für hintergründige Ironie hat. Während in einem kleinen Raum des Schweizer Pavillons eine Video-Installation zu sehen ist, die zeigt, wie Lüthi auf einem Laufband von dem Bild eines Totenschädels zum Porträt einer verlockenden Schönen zu gelangen versucht, ohne von der Stelle zu kommen, führt die Skulptur vor, dass Alter und Tod unentrinnbar sind. Der alte Mann, der da in ein kindliches Spiel versunken ist, hat die Realität nicht begriffen, er träumt sich zurück und wirkt albern.
Gleichzeitig parodiert diese Skulptur das Denkmal, das verewigen und erhöhen soll. Der Künstler, der da posiert wie die kunstgeschichtliche Figur einer Liegenden oder Badenden, macht damit auch klar, dass er nun künftig nicht als Bildhauer arbeiten will. Die Techniken, die er nutzt, sind ihm nie Selbstzweck, immer nur Mittel für die Darstellung eines Zusammenhangs.

Mit seiner Präsentation im Schweizer Pavillon setzt Urs Lüthi die Tradition der Alpenrepublik fort, mit Ironie auf die Welt und die Kunst zu schauen. Die Raffinesse Lüthis besteht darin, dass er oft seine eigene künstlerische Leistung in den Hintergrund treten lässt. Wenn er beispielsweise in einer Vitrine 150 Becher zeigt, die mit Bildmotiven und Schriftzügen bedruckt sind, wie sie heute jeder Fotoshop anbietet, dann übersieht man leicht die Doppelbödigkeit und Nachdenklichkeit, die in diesen Bildbotschaften verborgen sind.

Ähnliches gilt für die Türme aus farbigen Frisbee-Scheiben, die mit ihren Aufdrucken wie die Becher Souvenirartikeln gleichen. Auch mit diesen Scheiben knüpft Lüthi an die ganz frühen Arbeiten an. Da verhießen die Bildtitel „Lüthi weint auch für Sie“ oder „I‘ll be your mirror“ (Ich will Ihr Spiegel sein). Nun verkündet er Lebensweisheiten und Ratschläge wie: „Unsicherheit hält Sie jung“ oder „Stellen Sie sich Ihren eigenen Tod vor“. Auch hier werden ernste Sätze mehrfach gebrochen, weil man zuerst nur die leichten bunten Scheiben sieht, die zum Fliegen geeignet sind.

Die Ausstellung ist retrospektiv angelegte Werkschau und aktuelle Positionierung zugleich. Ihre kühle, ganz auf Asthetik ausgerichtete Inszenierung offenbart die Doppelbödigkeit nur denjenigen, die genauer hinschauen. Beeindruckend ist vor allem, dass Lüthi seine älteren Werke nicht museal behandelt, sondern neu interpretiert. Lüthi macht damit sichtbar, dass nicht nur Vergangenes gewürdigt wird, sondern alles auf seine heutige Arbeit zuläuft. Er hat damit der Biennale einen der besten Nationenbeiträge beschert. Dirk Schwarze

HNA 8. Juni 2001

Schreibe einen Kommentar