Stillstand der Kunst

Wo steht die zeitgenössische Kunst heute? Haben die Kölner „Westkunst“ (1981) und die jetzt zu Ende gehende Kasseler documenta 7 neue Erkenntnisse darüber erbracht, ob wir noch eine Avantgarde haben oder eine zweite (oder gar dritte) Moderne erleben? Gibt es noch Entwicklungsmöglichkeiten, gibt es noch Stile?

Diese Fragen brachten eine Podiumsdiskussion auf den Weg, die unter dem Thema „Ende des Modernismus oder die zweite Moderne?“ den Abschluß des XVIII.
Deutschen Kunsthistorikertages in Kassel bildete.

Die Kunsthistoriker, die mit Mißtrauen die Einlassungen von Kollegen in die aktuelle Kunsttheorie verfolgen, mögen sich in ihren Vorurteilen bestätigt gesehen haben: Angesichts der großen und mitunter heftigen Meinungsverschiedenheiten auf dem mit elf Experten viel zu groß besetzten Podium blieben die Begriffs- und Kategorien-Klärungen in den Ansätzen stecken. Schließlich hatte man sich in dem Direktor des Kölner Museums Ludwig, Karl Ruhrberg, einen vitalen Gesprächsleiter gewählt, der doch immer wieder das größere Interesse an der anschaulichen Praxis als an der bloßen Theorie hatte. Und so wurde die Runde bald zu einem Forum, das bei einigen abweichenden Voten ein insgesamt wohlwollendes bis positives Urteil über die documenta 7 herausarbeitete.

In der Frage, wie der Standort der zeitgenössischen Kunst überhaupt beurteilt werde, fand man zwar keine gemeinsame Linie, jedoch ein gemeinsames Gefühl – nämlich, daß wir (nicht nur im politischen Bereich) eine Zeit der Wende erlebten. Karl Ruhrberg, documenta-Leiter Rudi Fuchs und Klaus Gallwitz (Städelsches Kunstinstitut Frankfurt) kamen hier schnell auf einen gemeinsamen Nenner, indem sie feststellten, daß das Fortschrittsdenken auch in der Kunst an sein Ende gekommen sei. Kunst müsse sich nicht, so die Erkenntnis, ständig weiterentwickeln. Während Fuchs am Beispiel documenta zu erklären versuchte, daß sich jetzt die Kunst jenseits aller Stile bewege und ganz neu die Frage nach Bedeutungen stelle, fand Gallwitz für das nun erreichte Stadium den Begriff des Stillstandes. Den Stillstand von Kunst versteht er dabei keineswegs negativ, sondern als einen Akt der Befreiung aus dem Entwicklungszwang; die Kunst könne nunmehr, dieser Schluß ist daraus zu ziehen, zur Ruhe und damit zu sich selbst kommen.

Die Frage, ob für diese neue Kunst (deren Beginn Fuchs Ende der 60er Jahre ansiedelte) nun das Wort von der zweiten Moderne noch gelte oder schon, wie der documenta-Chef es wollte, der Begriff der dritten Moderne geprägt werden müsse, geriet, je länger die Diskussion dauerte, völlig aus dem Blickfeld.

Die Diskussion verwässerte in ihrem zweiten Teil zur kleinlichen documenta-Nachlese, bei der über die Richtigkeit der Auswahl und die Inszenierungsmethode ohne Verbindlichkeit gestritten wurde. Ein Gutes hatte dieser Streit: Rudi Fuchs bekannte klar, daß er die Künstler ausgewählt habe, ohne in jedem Einzelfall auf bestimmten Werken zu bestehen. Das habe im Falle des von ihm viel gerühmten John Chamberlain dazu geführt, daß der nicht sein „Bestes“ nach Kassel geschickt habe.

Für den Düsseldorfer Maler Konrad Klapheck wurde die Podiumsdiskussion zur „Gerichtsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten“. Klapheck, bei den documenten 3 und 4 vertreten, machte sich zum Fürsprecher der documenta-Künstler und fragte zu Recht vorwurfsvoll die Veranstalter, warum sie ausgerechnet von diesen betroffenen Künstlern keinen eingeladen hätten.
HNA 27. 9. 1982

Schreibe einen Kommentar