Design schwappt über

Möbel sind Handwerk. Bilder sind Kunst. Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun, auch wenn sich die beiden Welten meistens in einem Raum wiederbegegnen. So glaubt man.

Immer wieder hat es Versuche von Künstlern, Architekten und Designern gegeben, diese strenge und häufig in sich widersprüchliche Trennung zu überwinden, also Kunst und Alltagsform zusammenzubringen. Der Baumeister Schinkel gab im vorigen Jahrhundert entscheidende Impulse, der Jugendstil kämpfte darum (und wurde erst ein halbes Jahrhundert später darin anerkannt), das Bauhaus setzte sich in den 20er Jahren dafür ein, und nun erleben wir eine neue Annäherung von Künstlern und Designern, dokumentiert auf der Kasseler documenta 8.

Insofern ist es nichts Unanständiges, wie einige Kritiker meinen, Kunst und Design unter einem Kunstdach zusammenzubringen. Was mehr stört und irritiert, ist das Überschwappen des Designs in alle Bereiche, so daß in manchen Teilen der Ausstellung eine Art Weltausstellungs-Atmosphäre entsteht, bei der es bloß um Reize, um Sensationen geht.

Sicherlich ärgert es viele, daß die Grenzen zwischen Kunst und Design in und vor der Orangerie kaum noch zu erkennen sind. Das perfekteste Design-Produkt, der nagelneue Mercedes, steht eben nicht als gelungenes Modell da, sondern als der Beitrag eines Künstlers (Ange Leccia), der mit Hilfe dieses von vielen erträumten Autos die Kraft der Verführung versinnbildlichen will. Andererseits ist die rein spielerische Neon-Installation mit Ananas und Banane das Werk eines Designers (Lapo Binazzi).

Wir, die wir als Kinder des Funktionalismus, gewöhnt sind, einem Stuhl dann gestalterische Qualität beizumessen, wenn er von der Form überzeugt und man bequem auf ihm sitzen kann, sind erst einmal entsetzt, wenn nun Designer Sitzmöbel anbieten, die nicht nur schreiend bunt und schief, sondern mölicherweise auch unbequem sind. Ist das die neue Welt der Gestaltung, die wir uns erträumen? Gewiß nicht.

So sind auch sehr schnell die Vorbehalte gegen einzelne Design-Beiträge formuliert: Stefan Wewerkas Wärter-Stühle sind nicht nur unbequem, sie stören auch gelegentlich das Bild
der Ausstellung. Javier Mariscals Kassenhäuschen sind von der Konstruktion her eher menschenfeindlich. Außerdem geht die Wirkung dieser verspielten, abgebrochenen Säulen völlig unter, weil sie nicht allein das Vorfeld der Ausstellungsgebäude beherrschen, sondern mit Buden, Containern und Verkaufswagen konkurrieren müssen. Und das am Ende überzeugende und sehr erfolgreiche Signet der documenta 8 von Karl Oskar Blase verkommt, wenn es selbst auf Zigarettenautomaten zum Leit- und Locksymbol wird.

Gerade die Mischung von Kunst und Design hätte die Ausstellungsleitung zu einer strikten Reinhaltung des Umfeldes veranlassen müssen. Die Fehler, die hier gemacht wurden, werfen tiefe Schatten auf das Ausstellungskonzept. Die heiteren Design-Beiträge leiden stark darunter, gerade weil sie die Auseinandersetzung mit der Kunst verdienen.

HNA 11. 8. 1987

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