Das Nachdenken über das Bild verändert

Dirk Schwarze im Gespräch mit Susanne Pfeffer, Direktorin der Kunsthalle Fridericianum in Kassel und 2017 Kuratorin des deutschen Pavillons in Venedig

Susanne Pfeffer, 1973 in Hagen geboren, studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Theaterwissenschaft in Berlin und Rom. Ihre Magisterarbeit schrieb sie über mittelalterliche Kunst. 2001 assistierte sie Udo Kittelmann, als der den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig mit dem IMG_6128b

    Projekt „Totes Haus u r“ von Gregor Schneider kuratierte. Mit Kittelmann arbeitete sie im Kölnischen Kunstverein und im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zusammen, bevor sie 2004 künstlerische Leiterin des Künstlerhauses Bremen wurde. Von 2007 bis 2012 war sie Chefkuratorin der Kunst-Werke Berlin. 2013 kam Susanne Pfeffer als Direktorin der Kunsthalle Fridericanum nach Kassel. Ihr ursprünglich knapp vierjähriger Vertrag wurde bis 2021 verlängert. Ihre Ausstellungsarbeit startete sie in Kassel mit der Trilogie „Speculations on Anonymous Materials“, „nature after nature“ und „inhuman“ sowie mit großen Werkschauen zu Paul Sharits und Marcel Broodthaers.


    Dirk Schwarze: Frau Pfeffer, im vorigen Jahr haben Sie den Schweizer Pavillon in der Biennale von Venedig geleitet. Wie war es zu der Berufung gekommen?
    Susanne Pfeffer: Das ist eigentlich ganz schön: In der Schweiz gibt es ein Kuratorium, das für die Biennale jeweils einen Künstler aussucht. Das war im vorigen Jahr Pamela Rosenkranz, mit der ich in Kassel schon in der Ausstellung „Speculations on Anonymous Materials“ zusammen gearbeitet habe. Sie hat dann mich gefragt, ob ich sie in Venedig kuratorisch begleiten könne. Da habe ich gerne zugesagt. Ich bin ein großer Fan von ihrem Werk.
    8 Pamela Rosenkanz Our Product, 2015, pool, Venedig a 6 Pamela Rosenkranz a

    7 Pamela Rosenkranz Our Product, 2015, LED-Licht, Venedig 6 Der Schweizer Pavillon mit den Arbeiten von Pamela Rosenkranz

    Aber an der Auswahl waren sie nicht beteiligt.
    S.P.: Nein. Doch wenn ich gefragt worden wäre, hätte ich mich, so glaube ich, für sie entschieden. So lag es nahe, dass ich ihr zusagte. Auch hatte ich sie im vorigen Jahr für den Kunstpreis der Böttcherstraße in Bremen vorgeschlagen, weil ich sie für eine außerordentliche Künstlerin halte. Im Übrigen war es sehr schön, einmal die Rollen zu tauschen, denn sonst bin ich als Kuratorin für die Künstler-Auswahl zuständig.
    Was war dann ihre Aufgabe?
    S. P.: Wie auch sonst – die Entwicklung der Arbeit zu unterstützen und zu begleiten. Es war die erste raumgreifende Arbeit, die Pamela Rosenkranz realisiert hat. Die Arbeit hat sich von der ersten Konzeption bis zur Fertigstellung total verändert, radikalisiert und vereinfacht.
    Und nun ziehen Sie in den Giardini ein paar Häuser weiter, um 2017 den deutschen Pavillon zu bespielen. Welche Bedeutung haben eigentlich die Nationen-Pavillons, wenn man bedenkt, dass Sie als Deutsche den Schweizer Pavillon kuratiert haben und in den deutschen Pavillon keineswegs nur Deutsche eingeladen werden?
    S. P.: Ich fände es im Grunde schöner, wenn es diese Einteilung nach Nationen nicht gäbe. Andererseits gehört diese geschichtsträchtige Struktur zum Wesen der Biennale. Und es ist spannend zu sehen, wie sich in der Architektur der Pavillons die Eigenart der Länder widerspiegelt. Auch anderes wird durch die Ordnung nach Nationalitäten offenkundig: Welche Länder haben in den Giardini feste Pavillons und welche Länder müssen nomadisch durch die Stadt irren und für viel Geld teure Ausstellungsflächen anmieten? Die Biennale wird dadurch zum Spiegel der Machtverhältnisse in der Welt.
    Ist es am Ende die Finanzierung, die das Länderkonzept in Venedig am Leben erhält – nämlich, dass die Länder durch ihr finanzielles Engagement Ausstellungen möglich machen, die wir sonst nicht sehen könnten?
    S.P.: Ja!
    In den vergangenen Jahrzehnten haben sich viele Künstler und Kuratoren mit der schwierigen Geschichte des deutschen Pavillons auseinandergesetzt. Sie haben insofern an dem Prozess teilgenommen, als Sie 2001 Udo Kittelmann assistierten, als er den Beitrag „Totes Haus u r“von Gregor Schneider im deutschen Pavillon kuratierte. Bei Schneider war diese Auseinandersetzung mit dem Gebäude ein zentrales Thema.
    4 Hans Haacke Germania, 1993 Eingang Deutscher Pavillon agregor3 Gregor Schneider Totes Haus u r. In der Küche a Links der Eingang in den deutschen Pavillon, als Hans Haacke dort seine Arbeit Germania zeigte. In der Mitte der Eingang in das Haus u r. Rechts der Zugang zur Küche
    Kann man von dem überhaupt noch absehen?
    S. P.: Dieses Thema ist immer noch präsent. Aber es haben sich schon viele daran abgearbeitet. Doch ich weiß gar nicht, ob man sich diesem Thema angesichts der Tatsache, dass sich die Gewichte in der Welt so sehr verschoben haben, widmen soll. Es ist auch spannend, in die Zukunft zu schauen. Bei Gregor Schneider kam hinzu, dass sein Thema der Umgang mit der deutschen Architektur und dem deutschen Wohnen war, mit den Formen der Identität, mit der Erziehung und der Bewegung im Raum. Das hatte sehr viel mit seiner Herkunft (aus Rheydt) zu tun, mit der Welt, in der er aufgewachsen war, und mit der simplen Polarität von Heim und Unheimlichem. Das ist natürlich extrem deutsch und führt im Kontext mit dem deutschen Pavillon fast zu einer Verklärung. Das Gebäude wirkt so herrschaftlich, diktatorisch und faschistisch, und dann begegnet man im Innern des Pavillons auf einmal dem deutschen Kleinbürger, der Teil der Geschichte und des Nationalsozialismus ist.
    Führen ihre internationalen Aktivitäten hin zu den Projekten, die Sie künftig für Kassel entwickeln?
    S. P.: Das weiß ich noch nicht. Es kann auch etwas Gegenteiliges werden. Ich werde mir auf jeden Fall die nächsten Monate Zeit nehmen und ganz frei darüber nachdenken. Bei den Überlegungen führt man immer auch einen Dialog mit dem Haus und den Ausstellungen, die hier zu sehen waren.
    Gilt das auch für die Ausstellungsabfolge in Kassel?
    S.P.: Ja. Da sieht man, dass ich sehr unstrategisch vorgehe. So habe ich hier mit einer Gruppenausstellung begonnen. Das macht man eigentlich nicht, weil man die Räume noch nicht so kennt. Denn es ist viel einfacher, mit einem einzelnen Künstler die Räume zu erschließen. Die erste Ausstellung war sehr erfolgreich. Danach macht man dann nicht wieder eine Gruppenausstellung. Habe ich aber trotzdem gemacht, weil das Thema mich so interessiert hat. Auch dass die ersten beiden Ausstellungen Teil einer Trilogie wurden, hat sich erst aus den Dingen ergeben. Aus den Fragestellungen ergeben sich in der Praxis neue. So setzt die aktuelle Ausstellung „Images“ die Trilogie voraus, schließt aber auch an die Broodthaers-Retrospektive an. Für mich hat die intensive Beschäftigung mit Broodthaers den Blick auf die Kunst verändert. Auch hat sich das Nachdenken über das Bild verändert – jenseits der Motivik.
    9 Marcel Broodthaer La pipe, Holzpallette a Marcel Broodthhaers: La Pipe
    Nehmen denn einige der Künstler direkt Bezug auf Broodthaers?
    S. P.: Ja. Einige haben sich sehr intensiv mit ihm beschäftigt. Es hat sich ein neues Denken durchgesetzt. Das Material und die Motivik spielen bei einigen Künstlern keine Rolle mehr. Es ist egal, ob ein Hund oder eine Katze im Bild zu sehen ist. Es geht um bestimmte Phänomene und Fragestellungen, nicht um die Inhalte.
    Wie viele Ausstellungen wird es im Fridericianum dieses Jahr noch geben?
    S. P.: Insgesamt gibt es 2016 drei Ausstellungstermine. Die Gruppenausstellung „Images“, die jetzt läuft und danach parallel zwei Einzelausstellungen von Anicka Yi und Loretta Fahrenholz, die beide neue Arbeiten für das Fridericianum entwickeln. An der dritten Ausstellung arbeiten wir noch.
    Sie haben frühzeitig die Vertragsverlängerung bis 2021 bekommen..
    S .P.: Ich weiß gar nicht, ob das frühzeitig ist.
    Sind Sie zufrieden mit der Reaktion auf Ihre Ausstellungen?
    S. P.: Das lässt sich selber schwer beurteilen. Ich freue mich, dass wir Besucher haben, die zwei oder dreimal in die Ausstellungen kommen. In Kassel sollen möglichst viele das Fridericianum als ihren Ort begreifen. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft, die das Fridericianum trägt, weiß, dass das Fridericianum ihr Haus ist. Es gehört ja uns allen.
    Gibt es für die nächste Ausstellungsphase ab 2018 schon Ideen?
    S. P.: Ja, natürlich! Doch wenn ich schon genau wissen würde, was ich alles ab 2018 zeigen will, fände ich das problematisch. Ich bin jemand, der schon langfristig denkt, aber gern kurzfristig entscheidet.

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