Suche nach dem Wesen der Bilder

„Images“ , Kunsthalle Fridericianum, 31. 1. – 1. 5. 2016

In ihrer Eröffnungsausstellung „Speculations on Anonymous Materials“ in der Kasseler Kunsthalle Fridericianum hatte Susanne Pfeffer im Herbst 2013 die Frage aufgeworfen, ob es angesichts der Bilderflut in der realen und virtuellen Welt eigentlich noch des künstlerischen Schöpfungsaktes bedürfe. In einer Zeit, in der wir dank der digitalen Technik pausenlos Bilder vervielfachen, geht es demnach vorrangig nicht um Bilderfindung, sondern um die Aussortierung, Neuordnung und Umwidmung der Bilder. Und damit konzentriert sich unsere Aufmerksamkeit auf das Wesen des Bildes, das in vielen Fällen unterschiedlichste Funktionen durchlaufen hat und dementsprechend in sich zahlreiche Schichten vereint.
In ihrer aktuellen Ausstellung „Images“ nimmt Susanne Pfeffer die Fragestellung auf und treibt sie weiter voran, um noch genauer zu erfahren, wie die Künstler auf diese Entwicklung reagieren und welche Konsequenzen sie für ihre Arbeit daraus ableiten. Der Titel „Images“ soll dabei helfen, bei der Formulierung einer Antwort über den bescheidenen deutschen Begriff „Bild“ hinauszudenken und die dazugehörige Tiefenschicht des Imaginären einzubeziehen. Unversehens gerät der Bild-Begriff ins Zentrum des Interesses. Wir werden genötigt, darüber nachzudenken, welche Funktion das Bild noch hat und ob es eine Botschaft trägt, wenn man zugleich weiß, dass es schon hundertfach benutzt wurde und streng genommen keine Bedeutungskraft mehr hat.
Wenn es in dem Begleitheft zur Ausstellung heißt, die „gezeigten Arbeiten untersuchen das Bild im Moment seiner grundsätzlichen Neubestimmung“, dann kann das wie etwas Endgültiges wirken. Das ist es aber bei weitem nicht. Denn die neun in der Ausstellung versammelten Künstlerinnen und Künstler zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Bilder in ihrer permanenten Metamorphose vorführen. Indem sie ihre Aufgabe, inhaltliche Botschaften zu transportieren, abschütteln, liefern sie sich einem endlosen Wandlungsprozess aus. Selbst im Angesicht der Zerstörung bringen sie neue Bilderketten hervor, wie Cory Arcangel (Jahrgang 1978) in den „Data Diaries“ demonstriert. Die Hack-Attacke auf eine Software lässt zwar eine Ebene verschwinden, bringt damit aber neue Zeichen- und Bilderfolgen hervor. Zuweilen verblüffen die Ergebnisse, weil sie den strukturellen Untersuchungen analoger Filme gleichen, wie sie in den 60er Jahren unternommen wurden. Die digitalen Produkte bewegen sich auf einer Traditionslinie, die weit über die Moderne hinaus bis zu den Pointilisten reicht. 9 Cory Arcangela

2a Michel Majerusa 2b Michel Majerusa 1 Pierre Huyghea3a Philippe Parrenoa3Philippe Parrenoa4 Seth Pricea8 Trisha Donnellya6a Mark Leckeya6b Mark Leckeya
Bildtexte von links nach rechts und von oben nach unten
Cory Arcangel: Data Diaries
Michel Majerus: Ohne Titel, 1996-2002, Michel Majerus: controlling the moonlight maze, 2002,
Pierre Huyghe: I Do Not Own Snow White, 2005, Neonröhren,
Philippe Parreno: TV Channel, 1998 – 2013, Installation mit LED-Wand
Sturtevant: Finite Infinite, 2010, HDCAM-Metallband
Trisha Donnelly: Ohne Titel, 2008, Digitalvideo, Farbe, kein Ton, 6‘, Loop

Mark Leckey: Made in `Eaven, 2004, 16-mm-Film, Farbe, kein Ton (Raumspiegelung auf einer Replik von Jeff Koons Rabbit)

Einzelne Beiträge lassen erkennen, wie viele Wurzeln die spielerischen Untersuchungen des Bildes zwischen Realität und Imagination haben. Zu denken ist an Marcel Broodthaers, der erst im vorigen Jahr im Fridericianum gewürdigt worden war und der in dem Wort „figure“ einen Schlüsselbegriff für das Bildhafte entdeckt hatte, oder an Michel Majerus (1967 – 2002), der mit seinen malerischen Arbeiten zurück auf die Pop-art als Inspirationsquelle verwies. Ebenso ist an die konkrete Poesie zu erinnern, wenn Pierre Huyghe (Jahrgang 1962) zur Begrüßung der Besucher aus Neonröhren die Versicherung gestaltet „I Do Not Own Snow White“ oder wenn er ein Stockwerk höher den perfekt erscheinenden Borromäischen Knoten unbeholfen skizzenhaft in ein Deckenbild aus Neonröhren verwandelt.
Huyghes aufgeworfene Frage nach dem Eigentum an Bildern lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Kernproblem. Einerseits bedienen sich Künstler wie Philippe Parreno (Jahrgang 1964) im Internet reichlich, um frei verfügbare Filme in ihre Arbeiten einzubeziehen (etwa über den Schreibautomaten „The Writer“), dann aber erwarben Parreno und Huyghe gemeinsam die Rechte an der Animationsfigur Annlee, um diese dann auch anderen Künstlern zur Verfügung zu stellen. So gewinnt die Phantasiefigur realen Boden unter den Füßen. Alles ist im Fluss, und bald ist nicht mehr unterscheidbar, was original und real ist und was uns einen imaginären Raum eröffnet. Mit seiner Gartenlandschaft im Auepark hatte Huyghe zur documenta 13 gezeigt, dass die Frage nach dem Bild auch im realen Raum spannend ist und sehr unterschiedliche Antworten hervorbringt.
Die Ausstellung wird von bewegten Bildern dominiert. Dabei entziehen sie sich häufig dem Zugriff, was man spätestens merkt, wenn man einzelne Bilder herauslösen und unbewegt dokumentieren will. Während Philippe Parreno erzählerische Filme auf einer LED-Wand im Raum schweben lässt, führt Trisha Donnelly wie schon zur documenta 13 Bilder vor, die mit ihren bewegten Oberflächen und Strukturen faszinieren.
Aber so ganz geben die Künstler die Weitergabe von Botschaften nicht auf. Wohl spielt Seth Price (Jahrgang 1973) mit dem sich auflösenden Bild, wenn er in einer Form mit Holzfurnier zwei Porträts so reduziert, dass nur die Profillinien erkennbar bleiben. Aber seine in diesem Fall zentrale Arbeit ist eine Serie von gedruckten Bildausschnitten auf transparenter Folie, die uns zu den Schreckensszenen unserer Zeit führen – zu den über das Fernsehen verbreiteten Aufnahmen von Enthauptungen. Obwohl die Gestalt des Mannes, der den abgeschlagenen Kopf präsentiert, nicht zu erkennen ist, lässt seine Haltung die perverse Triumphgebärde spüren.
Wir brauchen ab und zu doch das Bild mit seiner dokumentarischen und mahnenden Kraft.
www.fridericianum.org, Begleitheft zur Ausstellung deutsch/englisch, kostenlos

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