Es brennt überall

Gespräch am runden Tisch soll Klärung bringen

Noch sind die Positionen im Streit um das Museum Fridericianum unversöhnlich: Gestern lehnte Oberburgermeister Georg Lewandowski als Vorsitzender des documenta-Aufsichtsrates nachdrücklich das Ansinnen ab, Teile der Antikensammlung vom Juni 1998 bis zum Frühjahr 2000 im Museum Fridericianum
zu zeigen. Der entsprechende Wunsch der Staatlichen Museen komme völlig überraschend. Wie berichtet, soll in dieser Zeit der Mittelbau von Schloß Wilhelmshöhe wegen des lange diskutierten Umbaus komplett geschlossen werden.

Das Fridericianum, so Lewandowski in einer Presseerklärung, solle als eine Kunsthalle für zeitgenössische Kunst geführt werden und ein „attraktives Ausstellungsprogramm mit überregionaler Ausstrahlung“ zeigen. Darauf habe sich vor einem Jahr unmißverständlich der documenta-Aufsichtsrat verständigt. Der Oberbürgermeister stärkte damit documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld in der Auseinandersetzung den Rücken. Gleichzeitig bot er sich als Vermittler an: Noch in der nächsten Woche soll bei ihm am runden Tisch ein klärendes Gespräch stattfinden, an dem Kunsthallen-Ausstellungsleiter René Block, der Direktor der Staatlichen Museen, Dr. Hans Ottomeyer, und Leifeld teil nehme sollen.

Kommentar

Die Personen wechseln, aber die Konflikte bleiben die gleichen. Es ist, als könnten alte und neue Kunst in dieser Stadt nicht zur Versöhnung gebracht werden. Und es nimmt schon tragikomische Züge an, daß alle Jahre wieder dieser Streit ausgerechnet am Museum Fridericianum festgemacht wird.

Als hätten wir keine anderen Probleme! Dabei brennt es in der hiesigen Kultur- und Museumslandschaft an allen Ecken: Die öffentlichen Etats brechen weg; noch ist nicht einmal sicher, ob die Kunsthalle im Museum Fridencianum, für die sich der Oberbürgermeister so vehement einsetzt, von der Stadt auch die notwendigen Mittel bekommt; ebenso ungewiß ist, ob in diesem Jahr documenta-Werke für die Neue Galerie angekauft werden können; und schließlich warten alle Kunstfreunde sehnlichst auf das Signal zum Umbau von Schloß Wilhelmshöhe und der Wiederherstellung der Gemäldegalerie.

Die documenta, das ist richtig, ist das Pfund, mit dem Kassel wuchern kann. Ohne die historische Basis, die in Wilhelmshöhe beheimateten Kunstsammlungen, ist dieses Kapital allerdings nur die Hälfte wert. Und dann die Sandkasten- spiele, bei denen keiner dem anderen sein Förmchen gönnt. Seit Arnold Bode im Fridericianum das Gebäude für seine documenta erkannte, befinden sich die Begehrlichkeiten im Widerstreit. Die Staatlichen Museen haben es nie verkraftet, daß sie auf ihr 1779 erbautes Stammhaus verzichten mußten. Und mit Museumsdirektor Hans Ottomeyer hat vor zwei Jahren ein Mann die Bühne betreten, der sich nicht duldsam dreingibt, sondern erkennen läßt, daß er eigentlich der geborene Hausherr sei. So ist jenseits sachlicher Meinungsunterschiede der Boden für emotionale Konflikte bereitet.

Offensichtlich ahnten die Verantwortlichen bevorstehendes Unheil, als sie den Vertrag für die Kunsthalle aufsetzten. Sie fügten nämlich die Formulierung ein:
„Sofern notwendig, stellen die Gesellschafter Einvernehmen her…“ Das sollen sie auch tun – und zwar schleunigst. Es kann doch nicht angehen, daß alte und neue Kunst ohne Ende um Quadratmeter streiten – zumal die Besucher der Ausstellungen sich an beidem erfreuen.

Anders verhält es sich im Streit um die Antiken. Da haben das Land und die Staatlichen Museen eindeutig versäumt, rechtzeitig attraktive Ausweichräume zu suchen. Und so können sie nicht blindlings das Fridericianum zur Diskussion stellen, nur weil das Theater die Orangerieräunie nicht freigibt. Es ist das alte Lied: Es fehlt an durchdachten Konzepten. Die Antiken wären auch in einem sicher gemachten Kulturbahnhof denkbar. Doch auch dies ist nicht zu vergessen:
Andere Städte und Ausstellungsmacher würden in die Luft springen, könnten sie den Apoll mit der Moderne konfrontieren.

HNA 15. 11. 1997

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