Wenn Dämonen flüchten

Als dritte Künstlerin der Ausstellung „Echolot“ im Kasseler Museum Fridericianum stellen wir die in New York lebende Tranerin Shirin Neshat (Jahrgang 1957) vor.

Unsere Weitsicht ist vornehmlich schwarz-weiß. Wir denken in Gegensätzen und unterscheiden gern zwischen Gut und Böse. Weil wir aus dieser Denkhaltung heraus auch den Islam betrachten, haben wir unsere Schwierigkeiten mit ihm. Die in New York lebende Iranerin Shirin Neshat greift diese Widersprüchlichkeit in ihren Foto- und Videoarbeiten, die in der Ausstellung „Echolot“ zu sehen sind, in überwältigender Weise auf.

Auch ihre Fotos sind schwarz-weiß – perfekt durchgestaltet: Man sieht Hände, Füße und Gesichter von Frauen, die weißen Hautpartien mit schwarzer Schrift überzogen und kontrastiert durch das metallische Dunkel von Waffen oder das Schwarz des Tschador (verschleiernder Umhang).

Hat man die Bilder einmal gesehen, lassen sie einen nicht mehr los. Ist es der optische Reiz oder ist es die Spannung, die sich aus der inszenierten Ruhe aufbaut? Gewiß trifft dies alles zu. Doch Shirin Neshat bewirkt mit ihren Bildern mehr: Sie setzt unterschiedliche Anspielungen frei, ohne sich selbst festzulegen. Denn die schwarze Verhüllung der Frauen steht ebenso für Schönheit wie für das Schicksalhafte. Andererseits wird in den Bildern, in denen Frauenporträts (meist ist es Neshat selbst) mit Waffen in Verbindung gebracht werden, offenbar, wie die Frauen nicht nur mutmaßliche Opfer, sondern auch Kämpferinnen sind. Und wenn man das hier abgebildete Foto „Alle Dämonen flüchten“ sieht, dann weiß man nicht, ob die bloßen Frauenhände, die das Schwert tragen, die Waffe und damit den Kampf segnen oder sie entschärfen und so die Gewalt vertreiben.

Meisterhaft sind die beiden Video-Installationen von Shirin Neshat: In der einen werden auf vier Wände Filme projiziert, die eine Frau im Tschador zeigen, die gegen den Strom durch Istanbul oder an Festungsmauern vorbei läuft und so wirkt, als wäre sie auf der Flucht. In der anderen triumphiert eine Sängerin im leeren Saal über einen Mann, der in traditioneller Weise vor einem Auditorium singt. Die Stärke der Frau bedarf keines Kommentars.

HNA 22. 4. 1998

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