Malerei im Dienste des Lichts

Zeichnungen, Grafiken und Malereien von Brice Marden rund um ein (gescheitertes) Kirchenfensterprojekt in Basel sind im Museum Fridericianum in Kassel zu sehen.

Im Dienst der Kirche blühte die Kunst auf. Die größten Meisterwerke entstanden als Auftragswerke, als bildgewordene Verkündigung. Wehmütig blicken die Kirchen in die Vergangenheit zurück, da die Kunst seit mehr als hundert Jahren ihre eigenen Wege geht und nur in Ausnahmefällen maßstabsetzende Künstler für kirchliche Projekte zu gewinnen sind. Nicht selten scheitern die Versuche, Kunst und Kirche zusammenzubringen, weil die Voraussetzungen und Erwartungen zu unterschiedlich sind.

Ein Musterbeispiel für dieses Scheitern wird jetzt im Zentrum der Ausstellung von Brice Marden im Kasseler Museum Fridericianum dokumentiert. Der amerikanische Künstler Brice Marden (Jahrgang 1938), der heute zu den prominenten Vertretern der Malerei gehört, war 1980 gebeten worden, im Auftrag einer Stiftung 15 Fenster für das Basler Münster zu gestalten. Die ursprünglichen Glasmalereien des 19. Jahrhunderts waren in den 50er Jahren entfernt und durch neutrale Glasscheiben ersetzt worden.

Marden, der sich nie zuvor mit kirchlicher Kunst und Glasmalerei beschäftigt hatte, widmete sich der neuen Aufgabe mit großer Intensität. Doch sei-
ne Entwürfe wurden abgelehnt, die historisierenden Fenster kehrten ins Münster zurück. Marden, der in den 70er Jahren durch strenge Farbfeldmalerei bekannt geworden war, entwickelte für das Basler Münster ein faszinierendes Bildprogramm, das ganz auf die Wirkung des Lichtes und seiner Brechung setzte. Es ist, als hätte er die Farben in helle Streifen aufgespalten. Mal stehen diese Streifen monumental gegeneinander, dann scheinen sie sich gegenseitig zu verschieben,
und schließlich bilden sich horizontale und vertikale Farbbalken, die bewegte Strukturen schaffen.

Es ist eine für Mardens bildnerische Sprache ungewohnte Kompositionsweise. Das Licht, das früher von der Malfläche verschluckt oder abgewiesen wurde, leuchtet nun aus der Tiefe der Bilder hervor. Zugleich lösen sich die festen Blöcke auf, die Farbflächen beginnen auszufransen, auszulaufen, Tropf- und Spritzspuren entstehen.

Die Ausstellung läßt sichtbar werden, daß Mardens Entwürfe genau in dem Zeitraum entstanden, als sich das Schaffen des Malers in einem tiefgreifenden Wandel befand. Denn zur gleichen Zeit entdeckte Marden für sich die ostasiatische Kalligraphie, die ihn zu Zeichnungs- und Grafikserien (ver)führte, in denen er simple Elemente stufenweise zusammenwachsen läßt. Aus dem Maler, der Flächen streng gliedert und Farbräume blockartig aufbaut, ist ein Künstler geworden, der die leichte Hand entdeckt und das Spiel mit der anscheinend zufälligen Form. Die Ausstellung wird so zum Dokument eines Entwicklungssprungs, bei dem der Maler aus den selbstauferlegten Grenzen ausbricht und die Perfektion überwindet, um Spontaneität und Lebendigkeit neu für sich zu entdecken.

HNA 19. 3. 1994

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