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Chaos und Ordnung

Ausstellung Christof Heyduck in der Adventskirche in Kassel
Es ist nur eine kleine Ausstellung, die wir heute in der Adventskirche eröffnen, aber sie beschert uns mehr als die Begegnung mit einem einzelnen Künstler. Im Mittelpunkt stehen Christof Heyduck und seine Werke. Doch wenn man von ihm spricht, muss auch an seine Frau, Hilde Heyduck-Huth, denken, die eine hoch begabte und international erfolgreiche Kinderbuchgestalterin ist. Beide lernten sich übrigens beim Kunststudium in Kassel kennen. Außerdem muss man an den Vater des Künstlers, an Georg Paul Heyduck, erinnern, der in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu den vielversprechenden Malern der Neuen Sachlichkeit gehörte, dessen Künstlerkarriere aber durch die Nazi-Zeit und den Krieg einen Knick bekam. Er lebte von 1946 bis zu seinem Tod im Jahr 1962 in Kassel. Und schließlich sind da noch der Bruder Peter Heyduck (Theatermaler) und der vielseitig begabte und zur Musik neigende Sohn Nikolaus Heyduck zu nennen.
Aus dem umfangreichen künstlerischen Werk von Christof Heyduck zeigen wir in nur einen winzigen Ausschnitt. Zwei Werkkomplexe wurden von vorneherein ausgeschlossen. In dem einen Fall handelt es sich um die seit den 80er Jahren entstandenen Landschaftsbilder, unter denen insbesondere die von der südlichen Sonne erwärmten Architektur- und Stadtansichten herausragen. Sicherlich wären sie eine Ausstellung wert, aber sie hätten nicht den Anlass geboten, einen in Bad Orb lebenden Künstler vorzustellen.
Auch die andere Werkgruppe, die den eigentlichen Kern von Christof Heyducks Lebenswerk bildet, hätte sich nicht für diesen Kirchenraum geeignet. Denn Heyduck war von 1954 bis 1996 als Bühnenbildner tätig – mit Schwerpunkten in Göttingen, Gelsenkirchen, Bielefeld, Münster, Darmstadt und Stuttgart. Für rund 300 Inszenierungen hat er in vier Jahrzehnten die Ausstattung besorgt und dabei bewiesen, wie hervorragend er sich auf die Inszenierungen, das heißt auf die unterschiedlichen Vorstellungen der Regisseure einstellen konnte.
Nein, hier geht es um Bilder, die auf ganz eigentümliche Weise eine Beziehung zu diesem Ort herstellen und die darüber hinaus auf einen Kreuzungspunkt verweisen, an dem sich mehrere Biografien und künstlerische Projekte treffen. Denn mit seinem Ausstellungsprojekt will Christof Heyduck seinen Lehrmeister Hans Leistikow ehren, bei dem er an der Werkakademie in Kassel von 1948 bis 1954 studierte und dessen Meisterschüler er wurde. Hans Leistikow, der in den 20er Jahren in Heyducks Geburtsort Breslau gewirkt hatte und von dort aus Heyducks Vater kannte, war vor allem als Grafiker tätig. Er gilt als Gründer der Kasseler Schule, die international berühmte Plakatgestalter wie Hans Hillmann, Jan Lenica und Gunter Rambow hervorgebracht hat.
Schon in den 20er Jahren hatte Leistikow Aufträge zur Gestaltung von Glasfenstern erhalten. Nun erhielt er kurz vor seinem Tod im Jahre 1962 die Bitte, für die im Wiederaufbau befindliche Adventskirche die Glasfenster zu entwerfen. Leistikow sagte zu, konnte aber nicht mehr das Gesamtkonzept verwirklichen. Die endgültige Gestaltung der Fenster links im Kirchenschiff (vom Eingang aus gesehen) betreute ein anderer Schüler von Leistikow, Dieter von Adrian.
Zu der Zeit mussten Glasfenster in Kirchen abstrakt sein und sollten möglichst keinem übermächtigen Ordnungsprinzip folgen. So wirkt die Farbgestaltung – in Dreiecken und Quadraten – erst einmal zufällig, bis man erkennt, wie bei den mittleren drei Fenstern die dominierenden Blau- und Weißtöne gesteuert werden, wie sich zur Mitte hin das Himmelsblau konzentriert und wie sich in den beiden äußeren Fenstern die Gelb-, Braun- und Rottöne durchsetzen. Leistikow vermied alles Gegenständliche und Erzählerische. Gleichwohl wirken die Chorfenster durch ihre Beton-Fassungen figürlich.
Im ersten Moment kann man gar nicht glauben, dass Leistikow auch die Entwürfe für die Kapelle (Werktagskirche) lieferte. Die leuchtenden und warmen Farben überraschen ebenso wie die vertikale Gliederung der Scheiben, die an gestapelte Bücher erinnern. Leistikow demonstrierte hier auf engstem Raum, wie man die Bildsprache verändern kann.
Zur gleichen Zeit, in der die Adventskirche wiederaufgebaut wurde, entstand nicht weit von hier die neue Mutterhauskirche auf dem Gelände des Diakonissenkrankenhauses. Für das in Zeltform errichtete Gotteshaus sollte Georg Heyduck die Fenster gestalten. Aber wie Leistikow starb der Vater 1962 – vor Vollendung der Fenster. So mussten seine Söhne Peter und Christof den Auftrag ausführen. In der Mutterhauskirche setzten sich die warmen Farben stärker durch. Doch ansonsten ist verblüffend, wie verwandt die Formensprache der Fenster in den beiden Kirchen ist.
Wenn Christof Heyduck hier ausstellt, kommt er also nicht nur seinen eigenen Anfängen, sondern auch dem Wirken seines Lehrers und seines Vaters sehr nahe. Dabei gibt Leistikow mit seinen Glasfenstern den Ton an. Die Bilder von Christof Heyduck ordnen sich unter. Mit Bedacht wurden die Kompositionen ausgewählt, die in der Farbigkeit verwandtschaftliche Bezüge herstellen.
Die Serie der abstrakten Gemälde, aus der Sie hier einige Beispiele sehen, entstand seit den 80er Jahren. Aber mit großer Intensität und nicht nachlassender Neugier arbeitete er an diesem Komplex in den vergangenen 20 Jahren. Allerdings zögere ich, wenn ich von abstrakten Bildern spreche. Die Kompositionen erobern zwar sehr frei und vielschichtig den Bildraum, doch richtig gegenstandslos sind die wenigsten. Hier blickt man an Ästen oder Wurzeln vorbei auf ungefähre Landschaften, dort bilden sich Spiegelbilder oder Strukturen, durch die sich wuchernde Pflanzen ziehen.
Christof Heyduck ist Maler durch und durch. „Alles wird mir zur Malerei“, sagt er auch dann, wenn er Projektionen kleiner Formate zu Grundlagen seiner Bilder macht. Er überzieht die Malerei mit projizierten Motiven, um dann darüber mit den Malmitteln zu gehen oder auf der Fläche kleinere Bilder zu kleben.
Den Anstoß zu der Serie hatte er 1965 erhalten, als er für eine Inszenierung von Darius Milhauds „La création du monde“ (Die Erschaffung der Welt) an der Deutschen Staatsoper (Ost-)Berlin das Bühnenbild schuf. Er entwarf Bilder, die das Chaos vor der Formung der Welt darstellten. Alles schien in Bewegung zu sein. Und unter jeder Farbenschicht öffneten sich noch weitere Schichten. Christof Heyduck hatte es verstanden, für die Erschaffung der Welt eine neue Sprache zu entwickeln, in der sich Malerei und Bildprojektion unauflöslich mischten. Einige der Bilder hier wirken wie ein zartes Echo auf die damals beschworene eruptive Gewalt. Dass es zu dieser erfolgreichen Zusammenarbeit kam, hatte auch damit zu tun, dass der Intendant der Ostberliner Staatsoper, Hans Pischner, wie Heyduck seine Jugendjahre in Breslau verlebt hatte und dass ein Gemälde von Georg Heyduck im Musikzimmer von Pischners Eltern hing.
Noch heute versteht er die Arbeit an diesem Musiktheaterprojekt als den Wendepunkt in seinem künstlerischen Schaffen. Aber nicht überall stößt man auf Chaos. Sie sehen auch Bilder, in denen eine Ordnung sich durchzusetzen versucht. Den Höhepunkt der Mischtechniken bildet für mich das Bild „Verspiegelt“, das von mir aus auf der rechten Seite hängt. Diese Komposition verzaubert mit ihren leuchtenden Blautönen und den feinen kristallinen Strukturen.
Christof Heyducks Bilder kann man natürlich auf einen Blick erfassen. Um sie aber richtig einordnen zu können, muss man sie lesen und in ihre tieferen Schichten eindringen. Einen Weg dazu öffnet Christof Heyduck selbst. In der Kapelle können Sie sich vertonte Videos anschauen, in denen die Kamera die verborgenen Tiefen der Malerei und Glasbildkunst zugänglich macht.