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Ein wundersamer Poet (1)

Zum Tod von Fritz Schwegler
Auf meinem Schreibtisch liegt ein Foto von Dieter Schwerdtle, das zeigt, wie Fritz Schwegler sein Todesmonument in der Künstlernekropole im Habichtswald in Besitz nimmt. Er sitzt auf der unteren Wulst seines Sarkophages, den Kopf an die obere Wulst gelehnt, die Arme ausgebreitet, so dass sein Körper ein Kreuz bildet, und die Augen entspannt geschlossen. Er probiert die letzte Ruhe, und er scheint eins zu sein mit der Natur und seinem Werk, das oberhalb des Blauen Sees seinen Platz gefunden hat.
Als ich 2004 für das Buch „Kassel – wo es am schönsten ist – 66 Lieblingsplätze“ über Schweglers Nekropolenbeitrag schrieb, stellte ich fest, dass die Inschrift „Weiszt du weil ich hier bin – und du bist auch hier“ noch nicht zutreffend sei, denn Fritz Schwegler lebe noch. Jetzt aber ist er tot. Schon länger hatte sich angezeigt, dass Schweglers Lebenskräfte aufgebraucht waren und seine Eigenbrötelei noch ausgeprägter wurde.

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Der geschriebenen Regel zufolge müsste Fritz Schwegler nun aus seiner schwäbischen Heimat (Breech bei Göppingen) zurückkehren in den Habichtswald, um hier bestattet zu werden. So ist es damals noch unter der Regie von Harry Kramer vereinbart worden. Neben Rune Mields und Timm Ulrichs gehörte Schwegler zu den ersten drei Künstlern, die ihr eigenes Grabmonument gestaltet hatten. Schwegler (Jahrgang 1935) ist nun der erste Künstler, der in seinem Werk beigesetzt werden muss.
Fritz Schwegler war ein liebenswerter und bescheidener Künstler. Besuchte man ihn in seinem Düsseldorfer Atelier in der Kunstakademie, musste man seinen Selbstgebrannten probieren. Und wenn man ihm bescheinigte, dass er zu einer neuen Avantgarde (nach dem Ende der Moderne) gehöre, fragte er nach, ob das ernst gemeint sei.
Seine Plastiken wie auch seine Zeichnungen und Malereien hatten etwas bestechend Einfaches, fast Naives. Doch aus dieser Einfachheit entwickelten sich mit verstecktem Witz rätselhafte und surreale Formen, die einen Bogen schlugen von der strengen Moderne zu einer verschlungenen Traumwelt.
Aber er war nicht nur Zeichner und Bildhauer, sondern auch Dichter, Poet, besser gesagt. Seine altertümlich verschrobene Sprache, die aus der Zeit gefallen war, ist genauso rätselhaft wie seine bildnerischen Werke. Er schuf sich seine eigene Welt, ein Gesamtkunstwerk. Eine Kostprobe: „EINIGE SPÄTE BILDER BLIEBEN IN DER LUFT HÄNGEN UND WURDEN NACHGEBAUT
DA OBEN / DA MUSZ MAN SICH BEWEGEN KÖNNEN / MAN MUSZ SICH ÜBER DIE GANZEN MEERE HINWEGSETZEN KÖNNEN UND ZU BERGEN WERDEN“
Kennengelernt hatte ich Fritz Schwegler während der documenta 5. Bevor ich seine Bilder näher studiert hatte, besuchte ich seine Performances, damals noch Aktionen genannt. Mehrfach war ich dabei, wenn er sich in einem Raum hinsetzte, um auf einer Flöte zu spielen oder im Singsang seine Texte (Effeschiaden) vorzutragen und dabei wie ein Bänkelsänger Bildtafeln hoch zu halten. Damals ahnte ich nicht, dass er in Breech ein ganzes Haus mit seinen Bildern und Plastiken gefüllt hatte. Mich faszinierte dieser Rattenfänger, aber ich folgte ihm auch aus Mitleid, weil die Zahl der Zuhörer immer sehr gering war.
Dass er bald darauf eine Professur an der Düsseldorfer Akademie erhalten würde, hatte ich nicht geglaubt. Zu versponnen schien mir sein Werk. Doch an der Akademie wurde er zu einem beliebten und erfolgreichen Lehrer und Anreger. Durch seine in Kassel lebenden Meisterschüler Silvia und Lutz Freyer bekam ich wieder Kontakt zu Schweglers Welt. Ihm zu Ehren wollten wir nächstes Jahr für ihn ein Fest arrangieren. Nun muss eine Gedenkveranstaltung draus werden.

5. 6. 2014