documenta 7 (1982)

Aus: Meilensteine: 50 Jahre documenta (2005)

Mit dem Ende der 70er-Jahre hatte sich die Kunstszene in Europa und Nordamerika kurzzeitig geändert. In zahlreichen Ländern meldete sich eine neue Generation von Malern zu Wort, die sich ihrerseits auf Vorbilder aus den 60er-Jahren und auf die Expressionisten beriefen. Von den Neuen Wilden war die Rede. Stärker als ursprünglich geplant, reagierte die documenta7 darauf, die von dem Holländer Rudi Fuchs (Jahrgang 1942) geleitet wurde. Diese documenta knüpfte an die großen Malerei-Ausstellungen der ersten documenten an. Fuchs gliederte die Ausstellung im Museum Fridericianum hierarchisch. Da gaben seine „Helden“ (Meister) den Ton an, zu denen er James Lee Byars, Jannis Kounellis, Mario Merz, Georg Baselitz, A. R. Penck, Jörg Immendorff, Anselm Kiefer und Ulrich Rückriem rechnete.
Fuchs hatte zum Rückzug in das Museum geblasen. Er hielt nichts von der Einmischung in den sozialen Stadtraum. Gleichwohl wurde seine Ausstellung denkwürdig durch ihre plastischen Arbeiten im Außenraum. Die Spitzhacke von Claes Oldenburg, die von Thyssen-Schulte gestiftet wurde, ist eine bleibende Erinnerung. Noch folgenreicher sollte der Beitrag von Joseph Beuys werden: Er schlug vor, im Kasseler Stadtgebiet 7000 Bäume zu pflanzen und jeweils eine Basaltsäule hinzuzustellen. Die Aktion 7000 Eichen, zu Anfang von vielen misstrauisch beäugt, wurde zum für die Stadt folgenreichsten Kunstprojekt. Beuys selbst erlebte die Vollendung der Pflanzaktion nicht mehr. Er starb 1986, ein Jahr vor dem Abschluss zur documenta 8. Während die erste documenta die Bundesgartenschau als Rahmen gebraucht hatte, war die documenta 7 mit Rücksicht auf die Bundesgartenschau 1981 in Kassel bewusst um ein Jahr nach hinten verschoben worden. Erst von da an wurde der Fünf-Jahres-Rhythmus zur Regel.

1000 Werke von 182 Künstlern. 380000 Besucher. Etat: 6,694 Mio. Mark. Erlöse und Spenden: 3,543 Mio. Mark. Zuschüsse: 3,151 Mio. Mark. Orte: Museum Fridericianum, Orangerie, Neue Galerie.

Beispielhafte Werke aus: Texte zum documenta-mobil (2005)

Joseph Beuys (1921-1986): „7000 Eichen“ (1982-87)

Seinen Vorsatz, direkt in die Gesellschaft einzuwirken, konnte Joseph Beuys 1982 mit seinem documenta-Beitrag verwirklichen. Er nahm sich vor, im gesamten Stadtgebiet von Kassel und bevorzugt dort, wo es kein Grün gab, 7000 Bäume (vorwiegend Eichen) zu pflanzen. Jedem wachsenden Baum wollte er als Zeichen eine gewachsene Basaltsäule zur Seite stellen. Die auf 3,5 Millionen Mark geschätzten Gesamtkosten wurden durch Spenden und spektakuläre Aktionen aufgebracht. In der Stadt aber bildete sich großer Widerstand gegen das Projekt, weil die 7000 Basaltsäulen bis zu ihrer Verwendung auf dem Friedrichsplatz gelagert wurden. Die Vollendung der Pflanzaktion zur documenta 8 erlebte Beuys nicht mehr.
(7-292)

Per Kirkeby (*1938): Backsteinbau (1982)

Der dänische Künstler Per Kirkeby arbeitet mit sehr unterschiedlichen Ausdrucksmitteln. So war er 1982 in der Ausstellung als Maler mit kraftvollen Farbimprovisationen vertreten. Gleichzeitig entwarf er für das Außengelände (neben der Orangerie) einen Backsteinbau, der sich mit klar gegliederter Architektur auseinander setzte, aber eine selbst bezogene Skulptur blieb. Der stille Bau gefiel an diesem Ort. Kirkeby war daher bereit, ihn der Stadt als Geschenk zu überlassen. Doch trotz internationaler Proteste wurde der Backsteinbau abgerissen. Zehn Jahre später sorgte die documenta für Entschädigung. Kirkeby erstellte in Verlängerung der documenta-Halle einen Backsteinbau, der stehen blieb.
(7-330)

Jonathan Borofsky (*1942): Five Hammering Men, Stahl und Motoren (1982)

Über Jahre hinweg notierte der Amerikaner Jonathan Borofsky seine Träume und Traumbilder. Aus diesen Protokollen schöpfte er Ideen für seine künstlerische Arbeit. Dazu zählten das Bild eines fliehenden Mannes mit Tasche und Hut oder eines übergroßen Maschinenmenschen, der flach wie ein Schattenriss ist und unablässig einen Hammer bewegt. Fünf dieser überdimensionalen Hammer-Männer stellte Borofsky in der Neuen Galerie in den Saal, in dem ansonsten die neue wilde Malerei zu sehen war. Die Figuren wirkten wie schwarze Raumzeichnungen. Ein paar Jahre später ließ Borofsky auf der Basis dieser Vorlagen eine Riesenfigur bauen, die heute in Frankfurt vor dem Messeturm steht.
(7-295)

Daniel Buren (*1938): A L’autre, Stoff (1982)

Der französische Künstler Daniel Buren hat für sein Werk den regelmäßig gestreiften Markisenstoff als zentrales Material entdeckt. Die weiß-roten, weiß-blauen oder weiß-grünen Streifen kennt jeder. Dem Künstler geht es darum, mit Hilfe des vertrauten Dekors Architekturelemente neu zu definieren. In der Ausstellung von 1982 konzentrierte er sich darauf, den Blick auf die Fenster- und Türformen des Fridericianums und der Orangerie zu lenken. Während er im Friderianum die Sprossenfenster in gestreifte Glasbilder umsetzte, gliederte er in der Orangerie die große Türöffnung durch fünf Stoffbahnen in der Weise, dass die Gesamtform bewusst wurde und ein symmetrisches Bild aus Farbfeldern entstand.
(7-510)

Mario Merz (1925-2003): Isola (Spiraltisch), Glas, Stahl, Steinplatten, Reisig (1982)

Viele italienische Künstler haben unter der Erblast der Antike gelitten. Daher nahm auch Mario Merz bewusst eine anti-klassische Haltung ein. Er setzte einfache („arme“) Materialien ein und wurde zu einem Hauptvertreter der Arte Povera. Merz beschäftigte sich mit Naturgesetzlichkeiten und entdeckte im Zahlensystem des Naturphilosophen Fibonacci eine Vorgabe für das Gesetz des Wachstums. Seine Skulpturen in Form von Iglus waren Schutz- und Zufluchtsräume, Urbehausungen. Für die documenta 1982 schuf Merz einen Spiraltisch, in dem sich die Elemente der Natur(Holz und Stein) und der Technik (Stahl und Glas) miteinander verbanden. Der Tisch ist heute in der Neuen Galerie in Kassel zu sehen.

Keith Haring (1958-1990): Ohne Titel, Siebdruck, Tusche und Lack auf Plane (1982)

Die Kunst der Straße eroberte das Museum. Der New Yorker Künstler Keith Haring hatte sich von der Graffiti-Kunst inspirieren lassen. Er übernahm einige Elemente und entwickelte ähnlich wie der Deutsche A.R. Penck eine zeitlos einfache Zeichensprache. Haring reduzierte die Formen auf simple Umrisse und Flächen und benutzte leuchtende Farben. Seine Figuren sind stets bewegt und voller Emotionen. Auch in diesem Bild hält die Figur Hilfe rufend die Hände hoch, während durch ihren Körper Tiere springen. Die auf den ersten Blick heiter wirkende Szenerie ist in Wahrheit bedrohlich. Die Straßenkunst wurde durch diese Bilder geadelt und auf Dauer erhalten.

Claes Oldenburg (*1929): Die Spitzhacke, Stahl (1982)

Die Zeit der Denkmäler und Statuen war vorüber. Was konnte an ihre Stelle treten? Einen ganz eigenen Vorschlag machte der Pop-Art-Künstler Claes Oldenburg. Er entwarf Monumente, in denen er alltägliche Gebrauchsgegenstände ins Überdimensionale vergrößerte. Weil in Kassel zahlreiche Baustellen waren, als er eine Idee für die documenta suchte, entschied sich Oldenburg für eine Spitzhacke. Er ließ sie an der Stelle am Fuldaufer aufstellen, an der die Verlängerung der Achse vom Herkules über die Wilhelmshöher Allee auf den Fluss treffen würde. Auf diese Weise machte er die Stadtstruktur bewusst. Die Spitzhacke, so stellte er sich vor, habe der über Kassel thronende Herkules dorthin geschleudert.

Jörg Immendorff (*1945): Naht (Brandenburger Tor), bemalte Bronze (1982)

Einer der wenigen Maler, die sich in ihrer Arbeit mit der deutschen Teilung beschäftigten, war Jörg Immendorff. Seine Serie der Café-Deutschland-Bilder beschworen die Widersprüche der damaligen Situation, die zuweilen einer Eiszeit ähnelte. In der Ausstellung von 1982 war er auch mit Gemälden vertreten. Vor dem Fridericianum stand von ihm als Mahnmal eine Skulptur, die die Form des Brandenburger Tores übernahm. Malerei und Skulptur waren darin eine einzigartige Verbindung eingegangen. Die Säulen bestanden aus untereinander verschlungenen Figuren und Symbolen, die zum Personal der deutsch-deutschen Geschichte gehören. Die Arbeit befindet sich heute im Museum Ludwig in Köln.

Georg Baselitz (*1938): Mädchen von Olmo, Ölbild (1981)

Er ist einer der wichtigsten Maler der Gegenwart: Aber Georg Baselitz brauchte viele Jahre, um die Anerkennung zu erlangen. Seine Beteiligung an der documenta 5 hatte ihm nicht den Durchbruch gebracht. Erst zehn Jahre später war er etabliert, als er von Rudi Fuchs vorgestellt wurde. Baselitz erregte dadurch Aufsehen, dass seine Motive auf dem Kopf standen. Er wollte signalisieren, dass es nicht auf die Darstellung sondern auf die Malerei ankomme. In dem Bild von 1981 wurde eine Weiterentwicklung von Baselitz sichtbar. Seine Malweise wurde roher und abstrakter. Ihm ging es ausschließlicher um das Zusammenspiel der Farben. Man spürte, dass er die Arbeit an Holzskulpturen begonnen hatte.

Extra: Fünf mal vierzig? (HNA, 16. 4. 1982)

Am Anfang, vor bald vier Jahren, stand das „Konzept der Vierzig“. 40 Künstler, die wichtigsten und die besten, sollten zur documenta 7 eingeladen werden, auf dass man deren Werke konzentriert und doch ausführlich studieren könne. Rudi Fuchs hatte dieses Konzept skizziert, noch bevor er zum Leiter dieser documenta berufen worden war.
Im Frühjahr 1979 dann erläuterte Fuchs seinen Plan einer Ausstellung, bei der rigide Auswahlmaßstäbe angewendet werden sollten. Von 80 bis 100 Künstlern war nun die Rede.
Als Fuchs im vorigen Herbst den angereisten Journalisten die documenta 7 als eine „Erzählung“ ankündigte, sprach er von 125 Künstlern. Schon zwei Monate später wurde die magische Zahl mit 150 angegeben; als Anfang März die Künstlerliste verschickt wurde, da waren 167 Namen zu lesen. In den letzten Tagen ist nun ein weiteres Dutzend hinzugekommen, darunter zwei Australier (Frucht einer Fuchs-Reise zum 5. Kontinent).
Es soll nicht unterstellt werden, dass am Ende die Künstlerauswahl doch nicht mehr so rigide ausfiele. Das Anwachsen der Liste macht vielmehr deutlich, welchem Dauer-Konflikt das Team ausgesetzt ist, wenn man nicht nur anspruchsvoll, sondern auch vollständig sein will. Der innere Druck wird da nicht geringer sein als der äußere.
Auf die 632 Künstler der documenta 6 wird man gewiss nicht kommen. Doch die Ausstellung der fünf mal vierzig Künstler scheint nicht mehr undenkbar.
Nachgedruckt in: Meilensteine: 50 Jahre documenta

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