documenta III (1964)

Aus: Meilensteine: 50 Jahre documenta (2005)

Anfangs war die documenta von einem Verein getragen worden. Als nach der Stadt Kassel auch das Land Hessen als Träger in die documenta GmbH eingetreten war, entwickelte sich die Kunstschau allmählich zur Institution. Aber 1961/62 geriet die documenta in eine Krise. Bode wollte die Ausstellung im Schloss Wilhelmshöhe zeigen, dessen Wiederaufbau sich jedoch verzögerte. Außerdem gab es hinter den Kulissen Streit um das Konzept. So musste die Ausstellung erstmals um ein Jahr verschoben werden. Es sollte die letzte sein, in der das Gespann Bode/Haftmann den Ton angab.
Haftmann propagierte die documenta als eine Ausstellung der Meister, denen jeweils eigene Kabinette im Fridericianum und in der heutigen Neuen Galerie zugebilligt wurden. Wieder setzte die Ausstellung bei den Pionieren der Moderne ein, was zum Teil auf heftige Kritik stieß. Bode und einige seiner Mitstreiter suchten die Öffnung zur Gegenwart. So reagierten sie mit der Abteilung „Bild und Skulptur im Raum“ darauf, dass viele Maler die klassische Tafelmalerei hinter sich ließen und mit dem Raum arbeiteten. Außerdem bot die Abteilung „Aspekte 1964“ die Möglichkeit, jüngere Tendenzen (Anfänge der Pop-Art) zu spiegeln. Zur Überraschung wurde Bodes Abteilung „Licht und Bewegung“, in der kinetische Kunst ihren Platz fand. Ihren guten Ruf verdankte die documenta III den von Werner Haftmann organisierten Ausstellung „Handzeichnungen“, in der Meisterwerke aus 80 Jahren zu sehen waren.

1400 Werke von 280 Künstlern, 200 000 Besucher, Etat: 1,4 Millionen Mark, Kosten: 2,437 Millionen Mark. Erlöse und Spenden: 1,02 Millionen Mark, Zuschüsse 840000 Mark. Defizit: 577 000 Mark. Orte: Museum Fridericianum, Orangerie, (Neue) Galerie.

Beispielhafte Werke aus: documenta-mobil (2005)

Karel Appel (*1921): Ohne Titel (1964)

Heute gehört es zum Ehrgeiz von Großausstellungen, Werke zu zeigen, die eigens für sie an Ort und Stelle gemacht werden. Wohl gab es schon früher Künstler, die ein Bild im Blick auf eine Ausstellung anfertigten. Aber dass 1964 ein mehrteiliges Gemälde erst in der Nacht vor der Eröffnung entstand, war außergewöhnlich. Es war auch nicht gewollt. Der niederländische Maler Karel Appel (Gruppe Cobra), der seinen figürlichen Expressionismus in der Anlehnung an van Gogh entwickelt hatte, sah sich zu dieser Spontanmalerei gezwungen, weil der Transport nicht rechtzeitig eingetroffen war. Das Gemälde behauptete sich und dokumentierte die Vitalität von Karel Appels Malerei.

Emilio Vedova (*1919): Plurimi di Berlino (Absurdes Berliner Tagebuch), Mischtechnik, 1964

Stand das Ende der Tafelmalerei bevor? Bisweilen schien es so, denn viele Künstler versuchten, das überlieferte Bild zu sprengen. Auch der italienische Maler Emilio Vedova trug dazu bei. Seine expressive abstrakte Malerei suchte sich extreme Bildformate und drängte über den Bildrahmen hinaus. Die Abteilung „Bild und Skulptur im Raum“ erlaubte es ihm, den Gedanken konsequent umzusetzen. Die Bildelemente und Farben explodierten in den Raum. Auf dem Boden standen und von der Decke hingen Bildelemente, die halb Fragment, halb Skulptur waren. Die Malerei erweiterte sich zum begehbaren Raum. Die Besucher wurden zum Teil der Arbeit. Heute ist dieser Raum in der Berlinischen Galerie zu erleben.

Ernst Wilhelm Nay (1902-1968): Drei Bilder im Raum, Ölbilder (1964)

Neben Fritz Winter wollte Arnold Bode auch Ernst Wilhelm Nay international zum Erfolg verhelfen. Nays Gemälde erhielten Schlüsselpositionen in den Ausstellungen. Für die documenta III verabredete Bode mit Nay eine Folge von drei Gemälden, die hintereinander unter die Decke gehängt werden sollten. Auf diese Weise entstand in dem schmalen Raum eine kapellenartige Wirkung. Man schaute in ein Raumgefüge, in dem ein Ablauf sichtbar wurde. Es war das einzige Mal, dass die Bilder auf diese Weise ausgestellt wurden. In der Umsetzung der Idee gab sich der Ausstellungsmacher Arnold Bode als Regisseur, als Schöpfer von Inszenierungen, zu erkennen.

Harry Kramer (1925-1996): Automobile Skulptur, Draht (1963)

Zu einer Überraschung wurde die von Arnold Bode allein organisierte Abteilung „Licht und Bewegung“, die der jungen Op-Art und kinetischen Kunst ein Forum gab. Der damals in Paris lebende deutsche Künstler Harry Kramer hatte mit seinen käfigartigen Objekten aus Eisendraht Gegenmodelle zu den glatten und massiven Skulpturen geschaffen. Auch ironisierte er mit diesen skurrilen Objekten, deren kleine Elektromotoren praktisch ins Leere liefen, die Maschinen- und Fortschrittsgläubigkeit jener Zeit. Die automobilen Skulpturen waren Teil eines absurden Theaters. Zugleich erschienen sie dank ihrer zarten Strukturen als Geschöpfe eines poetischen Geistes.

Jackson Pollock: (1912-1956): Number 32, Ölbild (1950)

Die Leinwand war fast drei Meter hoch und 4,50 Meter breit. Eine monumentale Malerei. Und was war zu sehen? Ein Gespinst aus schwarzen Farben, die auf die Leinwand getropft und gesprüht waren. Der amerikanische Maler Jackson Pollock wollte weder etwas darstellen noch der Komposition eine bestimmte Gestalt geben. Er versuchte vielmehr, aus der Aktion (Herumlaufen um die auf dem Boden liegende Leinwand) psychische Energien auf das Bild zu übertragen. Es ging um den malerischen Ausdruck; die Leinwand sollte zum Aktionsprotokoll werden. Mit dieser radikalen Abkehr von der geplanten Komposition beeinflusste Pollock zahlreiche Künstler in den USA und Europa.

Robert Rauschenberg (*1925): Axle, Mischtechnik (1964)

Zum zweiten Mal war Robert Rauschenberg in Kassel vertreten. Noch ließ das Ausstellungskonzept nicht einen zeitgemäßen Auftritt der Pop-Art zu. Doch immerhin konnte Rauschenberg eine Komposition zeigen, die für sein weiteres Schaffen charakteristisch war und die ein Vorspiel zur Pop-Art bot. Das Werk ist eine riesige Collage mit Bildzitaten aus der aktuellen Wirklichkeit. Ganz vorne, gleich doppelt, das Foto des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, der ein Jahr zuvor ermordet war. Daneben sieht man andere Motive, die per Siebdruck übertragen wurden. Die Farben kolorieren nicht mehr, sondern dienen zur Unterlegung oder werden zur Störung der Bildelemente eingesetzt.

Bernard Schultze (*1915): Migof-Raum, Mischtechnik (1963/64)

In der Malerei von Bernard Schultze verbinden sich auf verzaubernde Weise surreale, erzählerische Elemente und ein Hang zum freien Gestalten. Aus dem zeichnerischen Impuls verdichteten sich bei ihm gelegentlich Strukturen und Figuren so stark, dass Schultze seine Malerei mit Hilfe anderer Materialien zu Reliefs erweiterte. In seinem Migof-Raum in der documenta konnte er eine Gesamtkomposition schaffen, in der der Künstler einen bruchlosen Übergang vom Bild zum malerischen Raumobjekt vollziehen konnte. Den frei hängenden Gestalteten mutete etwas Geisterhaftes an. Aber sie glichen malerisch-plastischen Schichten, die aus den Bildern herausgelöst waren.

Norbert Kricke (1922-1984): Große Mannesmann, Edelstahl (1968/61)

Wie die Malerei sich um die Sichtbarmachung von Energien und Bewegung bemühte, arbeiteten Bildhauer daran, in neue Dimensionen vorzustoßen. Norbert Kricke war einer der Künstler, die die massive plastische Form aufsprengten. Seine Skulptur „Große Mannesmann“ hat den geschlossenen Körper hinter sich gelassen. Sie wirkt wie ein explodierender Kern, der seine Energiestrahlen in die verschiedensten Richtungen ausschickt. Die Kraft wird ebenso spürbar wie die Bewegung. Dabei ist der Arbeit dank der feinen Edelstahlstäbe, die das Licht reflektieren, eine zeichnerische Zartheit zueigen.

Handzeichnungen

Vielleicht wäre die documenta von der Kritik weggespült worden. Das wiederholte Bekenntnis zu den Pionieren der Moderne ließ die dritte Ausstellung als beharrend und überholt erscheinen. Wenn sie sich dennoch behauptete, hatte sie dies auch der Abteilung Handzeichnungen zu verdanken, die mit 500 Meisterwerken erstmals einen umfassenden Überblick über die Zeichenkunst seit 80 Jahren gab. Cézanne und van Gogh waren da vertreten, Toulouse-Lautrec und Picasso, Miro und Munch. Selbst von Joseph Beuys waren drei wegweisende Blätter zu sehen. Gelungen war auch die Präsentation in gleich großen Vitrinenkästen, die in Augenhöhe standen und von innen erleuchtet waren.

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