II. documenta (1959)

Aus: Meilensteine: 50 Jahre documenta (2005)

Die zustimmende Kritik zur documenta ermunterte Arnold Bode zum Weitermachen. Dabei hatte er von vorneherein von einer Ausstellung im Vier-Jahres-Rhythmus geträumt: „Quadriennale“ steht als handschriftlicher Zusatz im zweiten Exposé zur Ausstellungsplanung für das Jahr 1955. Hatte die erste documenta der Rechtfertigung der Moderne gedient, versuchte die zweite, noch stärker die abstrakte Kunst durchzusetzen. Für diese konsequente Programmatik hatte insbesondere Prof. Werner Haftmann (1912-1999) gesorgt, der 1955 das Standardwerk „Malerei im 20. Jahrhundert“ herausgebracht hatte. Haftmann war für die ersten drei Ausstellungen der „Chefideologe“ an Bodes Seite war. Die documenta II erntete auch erste massive Kritik – vor allem auch deshalb, weil der massierte Auftritt der amerikanischen Maler mit ihren Großformaten zu räumlichen Engpässen führte. Das viel zu niedrige Dachgeschoss des Fridericianums, in das die Franzosen abgedrängt wurden, empfanden selbst die Veranstalter als „Bleikammern“.
Zum Ereignis wurde die Schau insbesondere durch die Skulpturen-Ausstellung vor den Ruinen der Orangerie. Damit wurde die Öffnung zum Park (Karlsaue) vorbereitet. Ein dritter Ausstellungsort war das Palais Bellevue, in dem ein Überblick über die internationale Druckgrafik gegeben wurde.

1170 Werke von 326 Künstlern, 134 000 Besucher. Etat: 680 000 Mark. Zuschüsse: 476 000 Mark. Erlöse und Spenden: 515 000 Mark. Orte: Museum Fridericianum, Orangerie, Palais Bellevue.

Beispielhafte Werke aus: Texte zum documenta-mobil (2005)

Robert Rauschenberg (*1925): The Bed, Mischtechnik (1955)

Es war der erste documenta-Skandal. Er erreichte und erregte zwar nicht die Öffentlichkeit. Aber er führte dazu, dass Robert Rauschenbergs Objektbild „The Bed“ zwar in den Katalog aufgenommen aber nicht ausgestellt wurde. Rauschenberg, der ein Vorbote der Pop-Art war, zeigte in einem Holzrahmen von den Ausmaßen eines Bettes Kopfkissen und Bettdecke, die schmierig bemalt waren. Spuren einer Untat, konnte man vermuten. Für so viel Wirklichkeit hatte die Ausstellungsleitung keinen Sinn. Dass Rauschenbergs Werke nach Kassel geschickt worden waren, lag daran, dass die Auswahl der amerikanischen Künstler dem Museum of Modern Art in New York überlassen worden war. Dem Museum gehört heute „The Bed“.

Paul Delvaux (1897-1994): Mis au tombeau, Ölbild (1951)

Werner Haftmann propagierte die abstrakte Kunst. Dennoch waren erstaunlich viele gegenständliche und erzählende Werke in der documenta II zu sehen. Der Belgier Paul Delvaux war in der Nachfolge von Giorgio de Chirico zum Surrealisten geworden. Er schuf bühnenartige Gemälde, in denen sich die Menschen oft wie in Trance bewegten. Hier sieht man eine Grablegung, bei der es keine Überlebende gibt. Man kann es auch anders sehen: Delvaux zeigt, wie sich der Tod selbst beerdigt. Die Komposition knüpft an die reiche Tradition der Totentanzbilder an. In der Ausstellung war mit dem Thema vielleicht auch an das Ende der gegenständlichen Darstellung gedacht.

Pablo Picasso (1881-1973): Les Baigneurs, Bronze (1957)

Die documenta II machte den Sprung ins Freie. In und vor der Orangerie-Ruine in der Kasseler Karlsaue wurden vor weiß gestrichenen Wänden Skulpturen gezeigt. Die Präsentation war klar und fantasievoll. Die Besucher und die Kritik waren begeistert. Für Pablo Picassos abstrakte Figurengruppe „Les Baigneurs“ (die Badenden) wurde eine bühnenreife Aufstellung gewählt: Die stelenartigen Skulpturen, die heiter und spielerisch wirkten, standen in einem Wasserbassin. Auf diese Weise wurde auch den Besuchern, die mit abstrakter Kunst nichts anfangen konnten, verständlich gemacht, welche Bedeutung der Künstler ihnen gegeben hatte.

Willi Baumeister (1889-1955): Bluxao 3, Ölbild (1955)

Von dem Bild Willi Baumeisters geht eine große Fröhlichkeit aus. Die Farben leuchten, und die Formen wirken leicht und beschwingt. Baumeister zählte zu den deutschen Künstlern, die an der Weltsprache der Abstraktion mitwirkten. Trotzdem verlor er nie die Beziehung zur Natur und ihrer Erscheinung aus den Augen. Aus seiner Sicht waren die Kompositionen Gleichnisse zur sichtbaren Welt. Sie stellten nichts direkt dar, bildeten nichts ab, waren aber als Symbole für Bekanntes zu nehmen. Baumeister sagte einmal: „Farben und Formen enthalten alles, sind alles. Zugleich: Farben und Formen sind nicht alles.“

Alberto Giacometti (1901-1966): Drei schreitende Männer, Bronze (1948)

Der schweizerisch-italienische Bildhauer Alberto Giacometti hat die figürliche Sprache nicht aufgegeben. Aber er hat dank der Auseinandersetzung mit afrikanischer und etruskischer Kunst Skulpturen entwickelt, die in ihrer Einfachheit zeitlos sind: Überlange dünne Gestalten, die an Strichmännchen erinnern. Giacometti ging es um die Darstellung von Ausdruck und Bewegung sowie um das Verhältnis zum Raum. Das wird in dieser Kleinplastik mit den drei Männern anschaulich. Durch die gemeinsame Plattform werden sie in einen gemeinsamen Raum gezwungen. Wir sehen, wie sie sich bewegen. Sie stehen dicht beieinander und sind offenbar nicht fähig, zueinander zu kommen.

Jean Dubuffet (1901-1985): La vache tachetée, Ölbild (1954)

Als kurz nach 1900 die Künstler den Aufbruch in die Moderne wagten, holten sich viele von ihnen Anregungen bei der sogenannten primitiven Kunst Afrikas und der Südsee. Ein halbes Jahrhundert später bemühten sich wiederum Künstler um Erneuerung, indem sie nun Anleihen bei der Kunst der Geisteskranken nahmen. „Art Brut“ wurde diese Kunst genannt, die die bewusste Steuerung umgehen wollte. Einer ihrer Hauptvertreter war der Franzose Jean Dubuffet. Sein Bild einer Kuh ist von dieser zwingenden Direktheit. Zugleich ist diese Komposition mehr als ein Abbild: Die aus vielen unterschiedlichen Tönen bestehende Farbe gewinnt in dem Bild eine fast reliefartige Materialität. Die Komposition wird fühlbar.

Hans Hartung (1904-1989): T 56-13, Ölbild (1955)

Der deutsch-französische Maler Hans Hartung steht für jene abstrakte Nachkriegsmalerei, die mit dem Begriff „Informel“ belegt wird. Dahinter steht der Versuch, das geplante, an der Darstellung orientierte Malen zu überwinden und eine Situation herzustellen, in der psychische Energien direkt auf der Leinwand in Pinselstriche, Formen und Farben übertragen werden können. Diese ausgesprochen spontane Malerei ist mit der asiatischen Tuschezeichnung verwandt. Allerdings geht beim „Informel“ nicht die Konzentration auf einen besonderen Gegenstand voraus. Hartungs Bild lässt diese Spontaneität erkennen. Man kann die Pinselspuren verfolgen, die deutlich vor einem hellen Hintergrund schweben.

Nicolas de Stael (1914-1955): Figure au bord de la mer, Ölbild (1952)

Der aus Russland stammende Maler Nicolas de Stael, der zuletzt in Paris lebte, war bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts eine der großen Leitfiguren der abstrakten Malerei. Den geistigen Bezug zur Landschaft gab er nie auf. Aber die äußeren Bilder übertrug er in fest gefügte Farbfelder und Blöcke. Er baute die Kompositionen aus Farbpasten auf. Man mochte hier die Umrisse einer Gestalt, dort eine knappe Horizontlinie entdecken. Entscheidend für den Maler aber war, dass er den Farben eine starke, unmittelbare Präsenz gab. Sie standen nicht mehr im Dienst einer Form, sondern konnten sich selbst entfalten – Kontraste bilden und Harmonien herstellen.

Mark Rothko (1903-1970): White and Greens in Blue, Ölbild (1957)

Jahrhunderte lang haben die Maler mit Farben gearbeitet, haben versucht, auf der Leinwand überraschende Wirkungen zu erzielen. Aber erst im 20. Jahrhundert schafften sie es, nachdem sie sich vom Gegenstand gelöst hatten, die Eigenkräfte der Farben selbst sprechen zu lassen. Der aus Russland stammende amerikanische Maler Mark Rothko wurde in den 40er-Jahren zu einem Wegbereiter des Abstrakten Expressionismus. Ihm gelang es – wie in dem Bild „White and Greens in Blue“ den Formen magischen Charakter zu verleihen und die Farben zum klingen zu bringen. Er erreichte diese Ergebnisse dadurch, dass er etwa auf einen hellen Hintergrund dunklere Rechtecke setzte, deren Ränder er unscharf auslaufen ließ.

Extra: Verschwörungstheorie (HNA, 12. 2. 2005)

Eduard Beaucamp erinnert an die Kultur-Offensive der Amerikaner in den 50er-Jahren

Neu ist die These nicht, aber sie ist prickelnd genug, um alle paar Jahre wieder vorgebracht zu werden: Bei der Kultur-Offensive der Amerikaner nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sei möglicherweise auch die Kasseler documenta ins Visier des amerikanischen CIA geraten. Eduard Beaucamp hat diese These in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wieder aufgegriffen.
Dabei kann er sich auf drei Indizien berufen, die allesamt bekannt sind: Das eine ist, dass die US-Kulturinstitutionen und insbesondere das Museum of Modern Art (Moma) in New York in den 50er-Jahren systematisch Werke zeitgenössischer amerikanischer Kunst zu Ausstellungszwecken nach Europa schickten. Vor allem wurden die Gemälde des Abstrakten Expressionismus ausgesandt.
Zweitens hatten die Kulturprogramme ähnlich wie der CIA zum Ziel, die westlich-freiheitlichen Positionen gegen die kommunistischen zu stärken. Oft sei die kulturelle Aktivität nicht von der politischen zu trennen gewesen, heißt es.
Drittes Indiz: Verantwortlich beim Moma für das internationale Missionsprogramm war Porter McCray. Und eben dieser McCray war beauftragt, für die documenta II (1959) die Auswahl der amerikanischen Bilder vorzunehmen, während über alle übrigen Werke Auswahlkommissionen in Kassel entschieden.
Da das „International Program“ des Moma „politischer Steuerung“ unterlag und „ein Instrument des CIA“ war, folgert Beaucamp: „Die Leihgabe stellte also eine gezielte kulturpolitische Maßnahme dar, ein Implantat, das der Jury entzogen war.“ Ausdrücklich fügt er aber hinzu, dass die politische Instrumentalisierung den Rang der Künstler nicht beeinträchtigt habe. Neue Nahrung erhielten die Verdächtigungen durch das 1999 erschienene Buch „Wer die Zeche zahlt – Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg“ von Frances Stonor Saunders. Auf dieses Buch bezieht sich auch Beaucamp in der FAZ. Allerdings wird in dem an Spekulationen reichen Werk die documenta überhaupt nicht erwähnt.
Der Galerist Rudolf Zwirner, der 1959 Sekretär der documenta war, hält den Hinweis auf den CIA, wie er sagt, für baren Unsinn. Diese Verschwörungstheorie werde immer wieder vorgetragen, sei aber durch nichts belegt.
McCray und seine Kollegen seien viel zu unabhängig gewesen, um eine Auswahl im Sinne des Geheimdienstes zu treffen. So gehörten zu der Bildersendung aus New York neben den Riesenformaten der Abstrakten Expressionisten auch Bildobjekte von dem Pop-Art-Künstler Robert Rauschenberg, von denen eines („Bed“) auf die Deutschen derart aggressiv wirkte, dass es nicht ausgestellt wurde. Nach Zwirner wäre das nicht in eine politisch bestimmte Auswahl gekommen.
Dass überhaupt die Auswahl der US-Künstler dem Moma übertragen wurde, lag nach Zwirner daran, dass keines der Kommissionsmitglieder die US-Kunstszene kannte, die Zeit knapp war und das Geld für Reisen fehlte. Andererseits bestätigt Zwirner, dass sich die Amerikaner damals stark bemühten, ihre Kunst in Europa bekannt zu machen. Für ihn eine Kultur-Offensive, mehr nicht.

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