Ein Netz um den Globus

Weltweites Zeitschriftenprojekt – Buergel erläutert Konzept – Drei Ausgaben vor der documenta

kassel. Die Vorbereitungen zur documenta 12 sind in eine konkrete Phase getreten. Wie der künstlerische Leiter der Ausstellung des Jahres 2007, Roger M. Buergel, gestern in einer Pressekonferenz im Museum Fridericianum erklärte, geht es in der gegenwärtigen Phase um die Diskussion und Klärung von Thesen sowie um die Verknüpfung von lokalen künstlerischen Methoden und globalen Strategien.
Um dieses zu erreichen, hat ein Team um Buergel und den Chefredakteur der Wiener Zeitschrift „Springerin“, Georg Schöllhammer, Kontakt zu 70 internationalen Zeitschriften auf allen Kontinenten und in allen kulturell wichtigen Regionen hergestellt. Die Zeitschriften sind, wie Buergel und Schöllhammer erläuterten, bereit, Thesen zur künstlerischen Praxis und Wahrnehmung, zur Funktion der Bilder und zum Wechselverhältnis von Zentrum und Peripherie zu diskutieren. Ein Redaktionsteam wird im Laufe des nächsten und übernächsten Jahres auf der Grundlage der Veröffentlichungen drei documenta-Zeitschriften erarbeiten, die im Frühjahr und Herbst 2006 sowie im Frühjahr 2007 erscheinen werden. Jede Ausgabe soll zu einem Kernthema der documenta 12 hinführen und damit den interessierten Laien einen Zugang zur Ausstellung ermöglichen. Schöllhammer sieht diese drei Zeitschriften als vorbereitende Ausstellungsprojekte in gedruckter Form.
Der weltweite Dialog wird direkt und indirekt das Bild der nächsten documenta mitprägen. Schöllhammer wies darauf hin, dass derzeit das Fridericianum dafür ein hervorragendes Beispiel biete. Die am Wochenende eröffnete Ausstellung „behind the facts. interfunktionen 1968-1975“ bezieht sich nämlich auf eine Zeitschrift, die in einer lokalen (Kölner) Szene erschien und die die internationale Avantgarde der Kunst vorstellte und diskutierte.
Aber Buergel und sein Team fragen nicht nur nach der künstlerischen Form und Praxis. Für die Komposition der Ausstellung hat er drei Grundsatz-Themen formuliert:
1) Die Moderne ist unsere Antike. Gemeint damit ist, dass wir zwar alle modernistisch geprägt seien, dass die Moderne aber auf Grund der globalen Katastrophen wie die Antike nur noch als Trümmerfeld vor uns liege. Wir hätten also viel zu tun, um sie zu verstehen.
2) Der Begriff des bloßen Lebens. Damit spielt Buergel auf die Tatsache an, dass die Menschen immer wieder in den verschiedensten Ländern und Regionen auf ihre nackte, bloße Existenz zurückgeworfen werden und ihr Leben bedroht wird. Als Beispiele nannte er die Juden, die Folteropfer, aber auch die Opfer der Sozialreformen (Hartz IV).
3) Bildung und das lokale Museum. Gedacht wird dabei, dass es überall üblich ist, Informationen über die Welt und das Leben zu sammeln und künstlerisch zu verarbeiten. Das lokale Museum sammelt dieses verarbeitete Wissen und bietet einen Beitrag zur Selbstbildung. Das bedeutet, dass mit diesen drei Themen das Bild unserer Zeit, der Zustand der Gesellschaft und die Frage der Vermittlung umrissen werden.
Neben der globalen Vernetzung geht es dem Team schon im Vorfeld um das Gespräch mit dem Publikum. Wie Ruth Noack, Buergels Frau und enge Mitarbeiterin, erklärte, wurde in Kassel eine Arbeitsgruppe gebildet. Sie soll ein Forum für die Erörterung allgemeiner Fragestellungen dienen. Ebenso soll sie dazu verhelfen, die Vorbereitung der documenta 12 zu verorten.
HNA 1. 2. 2005

Kommentar: In guter Tradition

Jede documenta müsse neu gedacht werden. Die Feststellung von Roger Buergel ist richtig. Trotzdem steht der künstlerische Leiter der documenta 12 mit seiner Strategie in der direkten Nachfolge seiner beiden Vorgänger. Vor allem wird immer klarer, dass die Zäsur, die unter Catherine David erfolgte, immer noch wirksam ist.
Auch die documenta X betrieb Feldforschung: Die drei vor der Ausstellung erschienenen Hefte (documenta documents) sowie „Das Buch zur documenta X“ versammelten Bilder und Texte zum Zustand der Welt. Okwui Enwezor schuf mit seinen Plattformen 1-4 internationale Diskussionsforen zu Demokratie und Gewalt, zur Kultur und zum Kolonialismus.
Wenn Buergel nun den globalen Dialog auf der Basis lokal verankerter Zeitschriften sucht, bleibt er auf der gleichen Ebene. Allerdings verspricht dieser Weg, dass die verschiedenen Kulturräume direkter und damit erkennbarer zu Wort kommen.
Die Methode ist vielversprechender, als wenn ein Team nur Reisen durch Ateliers unternähme. Damit hat die documenta 12 die Chance, unabhängig vom Kunstmarkt zu werden.
HNA 1. 2. 2005

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