Kunstwerke sollen für sich sprechen

Gespräch mit documenta-Leiter Roger M. Buergel im Kunstverein – Arbeit an einer Zeitschrift

KASSEL. Auf den ersten Blick klingt es wie ein Widerspruch: Roger M. Buergel (42), der Leiter der documenta 12 (2007), fühlt sich beim Planen einer Ausstellung dem Publikum genauso verpflichtet wie den künstlerischen Werken. Aber er hält nicht viel von der erklärenden Vermittlung für das Publikum.
Der Widerspruch löst sich auf, wenn man hört, was Buergel von einem Kunstwerk und vor allem von einer Ausstellung erwartet: Das Kunstwerk soll so präsentiert werden, dass es den Schlüssel zum Verständnis in sich trägt. „Das Idealste ist,“ so sagte Buergel in einem Gespräch im Kasseler Kunstverein, „wenn die Ausstellung verschwindet.“ Im Übrigen habe Kunst nicht so viel mit Wissen zu tun, wie man immer gern unterstelle.
Es ist eine Tradition, dass der Kunstverein den documenta-Leiter in der Planungsphase zu einer Veranstaltung einlädt. In diesem Fall hielt Buergel keinen Vortrag, sondern wurde von Prof. Heiner Georgsdorf und Bernhard Balkenhol, die seit vielen Jahren die documenta didaktisch begleiten, im überfüllten Kunstvereinssaal befragt.
Erneut machte Buergel klar, wie wichtig es für ihn sei, über das Medium Ausstellung nachzudenken und bei aller Tradition der documenta nicht in einen Automatismus zu geraten. Die Tatsache, dass die documenta jedes Mal neu erfunden werden müsse, verschaffe ihm den Freiraum, darüber nachzudenken, warum es diese Ausstellung geben müsse.
Der documenta-Leiter ließ wiederholt durchblicken, dass er sich mitten in einem Klärungsprozess befinde. So liegen für ihn die Strukturen der Ausstellungsvorbereitung noch nicht fest. Wollte Buergel im Mai bei einem Gespräch mit der HNA nicht ausschließen, dass er ein Kuratorenteam bilden werde, meinte er nun im Kunstverein, er werde die Zusammenarbeit mit anderen nicht unbedingt formalisieren. Das heißt, dass er ähnlich wie Catherine David nicht einen Stab von Kuratoren um sich sammeln will. Buergel sucht, wie er erneut unterstrich, das Gespräch mit Künstlern und Kritikern, mit denen er sich austauschen kann.
Der documenta-Leiter reist zwar viel, aber er ist nicht in der Welt unterwegs, um Künstler für die Ausstellung einzusammeln. Eher geht es ihm derzeit darum zu sehen, was weltweit auf den lokalen Ebenen diskutiert und künstlerisch bearbeitet wird. Auf diese Weise könne sich ergeben, dass Künstler und Projekte, die nichts miteinander zu tun haben, in Beziehung zueinander zu setzen seien.
Um in dieser Hinsicht möglichst viel Wissen anzueignen, auf Grund dessen die Ausstellung geplant werden kann, hat Buergel Kontakte zu 70 internationalen Zeitschriften geknüpft. Aus der Zusammenarbeit mit diesen Publikationen soll im Vorfeld der documenta 12 eine eigene Zeitschrift entstehen, die der Öffentlichkeit die Materialien zur Verfügung stellt, die zum Entstehungsprozess der Ausstellung gehören.
Auch hat Buergel damit begonnen, innerhalb Kassels Gespräche zu führen, um die Stadt und die in ihr geführten Diskussionen in seine Planung einzubeziehen. Die erste Gesprächsrunde führte ihn in die Universität.
HNA, 6.11. 2004

Schreibe einen Kommentar