Vorbereitung der documenta 12: Mithilfe von Zeitschriften lokale Initiativen verknüpfen
Kassel. Wie entsteht eine documenta? Oder: Wie stellt ein künstlerischer Leiter seine Künstlerliste zusammen, wenn er wie Roger Buergel der Meinung ist, es sei ein hoffnungsloses Unterfangen, von Kassel aus die Welt zu bereisen und in Ateliers, Galerien und Kunsthallen Künstler auszusuchen. Dies gilt umso mehr, als Buergel vor hat, auch die Länder und Bezirke einzubeziehen, die in der bisherigen documenta-Geschichte weiße Flecken blieben, und er noch tiefer in die lokalen Szenen eindringen will.
Ergibt sich da nicht ein unauflösbarer Widerspruch? Nicht unbedingt. Denn Buergel erprobt zusammen mit Georg Schöllhammer, dem Chefredakteur der Wiener Zeitschrift Springerin, einen neuen Weg. Sie haben, wie berichtet, im vergangenen Jahr rund um den Globus Beziehungen zu rund 80 Zeitschriften geknüpft und sie zu einem Dialog und Austausch (auch untereinander) eingeladen.
Bei dem Begriff Zeitschriften darf man nicht an die Hochglanzmagazine denken. Denn es handelt sich oft um Publikationen, die unter widrigen Umständen entstehen und deren Redakteure vielfach zugleich Künstler und Kuratoren oder Autoren sind. Mal kann es sich, wie Buergel im Gespräch erläutert, um ein Performance-Magazin aus dem Libanon handeln, dann wieder kann es eine Architektur-Zeitschrift aus Cape Town (Südafrika) sein.
Die Redaktionen wurden gebeten, in ihren Zeitschriften Grundfragen zur Moderne, zu den Existenzbedingungen und zur künstlerischen Verarbeitung zu behandeln. Gleichzeitig sollen sie auch als Lotsen durch die lokalen und regionalen Szenen dienen, um der documenta-Leitung Kenntnisse über künstlerische Aktivitäten und Initiativen zu vermitteln.
Buergel, seine Frau Ruth Noack und Schöllhamer haben damit begonnen, in regionalen Konferenzen auf verschiedenen Erdteilen mit den Redaktionen zu diskutieren. Ein Ziel ist dabei, für die documenta-Besucher ein umfassendes Zeitbild zu entwerfen, vor dem die kommende Ausstellung zu sehen ist. Das erarbeitete Wissen soll in drei documenta-Zeitschriften veröffentlicht werden, die vor Eröffnung der Ausstellung am 16. Juni 2007 erscheinen sollen.
Außerdem versteht Buergel einige dieser Redakteure, die an bestimmten Knotenpunkten der regionalen Szenen sitzen, als feste Mitarbeiter, die aus der unverstellten Nähe ihm bei der Künstlerauswahl behilflich sein sollen. Nach Buergels Einschätzung haben sie viel Verantwortung übernommen, damit die Auswahl möglichst aus lokaler Sicht erfolgen kann. Mit diesem Konzept vertieft Buergel die Globalisierung der documenta. Noch stärker als sein Vorgänger gibt er die westliche Perspektive als alleinigen Bezugspunkt auf. Zwar kam das Team von Okwui Enwezor (Documenta 11) auch aus verschiedenen Erdteilen, doch hatten alle eine westlich geprägte Biografie.
HNA 2. 2. 2006