Kunst ist Setzung

Ausstellung
„Dieter Froelich: Plastik und Textarbeiten“
in der Galerie Terbrüggen

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

vor drei Jahren lernte ich in einer Ausstellung in Kassel erstmals Arbeiten von Dieter Froelich kennen und war auf Anhieb fasziniert. In den Jahren danach stieß ich immer wieder auf den Kunstmärkten in Köln und Frankfurt auf Froelichs Bilder und Objekte, auch versorgte er mich zwischendurch mit Einladungskarten und Katalogen. Meine Begeisterung hielt an. So trafen wir die Verabredung für den heutigen Abend – auf daß ich Zeugnis ablegen konnte von meiner Faszination.

Als mir klar wurde, worauf ich mich eingelassen hatte, erschrak ich: Warum eigentlich nehmen mich diese Arbeiten gefangen? Sicher, ich könnte von der Poesie sprechen, die sie wie eine Aura umgeben. Und dann? Ich begann die Kataloge neu zu lesen und fand, daß ich mit den Texten, die so genau und so philosophisch sind, wenig anfangen konnte. Meine Zweifel waren komplett, als Froelich mir schrieb, von Werkinterpretationen hielte er nicht viel und von den Botschaften der Eröffnungsansprachen schon gar nichts.

Sollte ich also mit Ihnen übers Wetter reden? Nein, ich will es trotzdem versuchen, fange aber ganz weit weg von Froelichs Arbeiten an.

Lassen Sie einige Thesen voranstellen, die nicht unbedingt neu, in diesem Zusammenhang aber möglicherweise von Bedeutung sind:

1. Kunst ist Setzung.

2. Jede Kunst ist ausschließlich Produkt und Spiegel der Wirklichkeit.

3. Jede Kunst ist reine Fiktion.

4. Das Material ist die Botschaft.

5. Die Worte, die die Dinge benennen, haben mit ihnen nichts zu tun.

Ich muß das erläutern:

1. Kunst ist Setzung: Spätestens seit Marcel Duchamp industriell gefertigte Gegenstände als Kunstwerke ausstellte, wissen wir, daß Kunst nicht bloß mit Wahrnehmung, sondern auch mit Bewußtsein zu tun hat. Die Existenz von Kunst hängt also nicht nur vom Tun des Künstlers, sondern auch von der Vorprägung des Betrachters ab.

2. Jede Kunst ist ausschließlich Produkt und Spiegel der Wirklichkeit: Alles das, was in Bildern, Objekten, Skulpturen und Installationen mit welchen Mitteln auch immer geformt und vorgestellt wird, ist ein Ergebnis der Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit. Das gilt selbst für die reine monochrome Fläche, die nichts anders darstellt, als die Art und Weise, wie eine Farbe aufgetragen worden ist.

3. Jede Kunst ist reine Fiktion: Auch gerade weil die zweite These zutrifft, stimmt die dritte, denn die willkürliche Gestaltung des Künstlers hat mit den Dingen, die sie abbildet oder umsetzt, nichts zu tun. Der Künstler löst sie aus den Zusammhängen heraus, transformiert sie in völlig andere Ebenen und Materialien und abstrahiert sie und packt sie in Gedankengebäude und Geschichten ein.

4. Das Material ist die Botschaft: In der Schule haben wir gelernt, danach zu fragen, inwieweit Form und Inhalt zusammenpassen. Diese Frage reicht nicht mehr aus. Wir müssen auch fragen, aus welchem Material die Form beschaffen ist. Durch Joseph Beuys ist allgemein ins Bewußtsein gerückt, daß schon der Stoff allein – Filz, Fett und Honig – Bote sein kann.

5. Die Worte, die die Dinge benennen, haben mit ihnen nichts zu tun. Die Worte sind als Begriffe den Dingen dieser Welt willkürlich als Namen bzw. Bilder aufgezwängt worden. In Wahrheit sind sie aber Bilder und Objekte für sich. Sie stehen gleichrangig neben den durch sie bezeichneten Dingen.

Ich denke, daß ich mit diesen Thesen, die sich noch erweitern ließen, versuchen kann, das Werk von Dieter Froelich einzukreisen. Nicht, daß es damit erfaßt und erklärt wäre, doch es entfaltet sich in dem von Widersprüchen beherrschten Zwischenraum. Ob Froelich sich auf sie bezieht oder sie gar akzeptiert, spielt erst mal keine Rolle. Aus meiner Sicht bewegt er sich in Ihrem Umfeld.

Indem Froelich industriell gefertigte Formen aufnimmt, führt er das alltäglich Banale in die Kunst ein. Aber er hält sich nur scheinbar an die Wirklichkeit. In Wahrheit läßt er diese hinter sich zurück, um die Dinge umzuformen und einzupassen und ihnen eine eigene Geschichte mit auf den Weg zu geben. Das AbbIld verwandelt er ins Sinnbild, zum Bedeutungsträger – die gestempelten Buchstaben, der Tafellack, das Küchenregal und die Spanplatte gewinnen nicht erst durch eine aufgezwungene Gestalt Aussagekraft. Jedes Material trägt seine Botschaft in sich – auch die in Schrift fixierte Sprache. Sie ist Bildkörper wie das Objekt.

Wir leben mit dem Bewußtsein, in der Kunst sei alles gesagt worden und die Bildmittel seien verbraucht. Doch indem die Künstler von vorn beginnen und ihr Vokabular neu zusammenstellen, erweitern sie den Spielraum der Kunst. Dieter Froelich gelingt dies, weil er uns allen bestens vertraute Assoziationsbereiche einbezieht – Kindheit und Schule, Haushalt und Fabrikation. Rühren seine Objekte und Bilder nicht an, weil sie oft an Spielzeug denken lassen, weil sie wieder zum Spiel herausfordern, weil die Rollbilder an Wandkarten und erträumte Weltreisen erinnern oder weil sie den Eindruck erwecken, sie kämen gerade aus der Serienproduktion?

Wir erfahren die Welt neu. Wir erkunden sie und begreifen sie in einer Weise, als würden wir sie erstmals erleben. Zum Schlüssel wurde für mich das Zitat aus dem Jakob Wassermann-Roman über Caspar Hauser, das dem Katalogtext zu der Ausstellung „Außenraum – Innenstadt“ vorangestellt ist. Da wird beschrieben, wie der von der Welt abgeschnittene Caspar Hauser sein weißes Holzpferdchen als seinesgleichen ansieht. Der in die Isolation verbannte Caspar Hauser muß erst sein Verhältnis zu Dingen finden. Alles ist ihm gleich fremd und vertraut – das Pferd und die Suppe, der Tisch und das Haus, der Schmerz und der Löffel. Gleich wichtig sind da aber auch das Ding und sein Begriff, das Wort und das Bild.

Diejenigen, die Froelichs Arbeiten ein wenig kennen, merken, daß ich mich jetzt auf sie beziehe. Dieter Froelich läßt uns wie Caspar Hauser von vorn beginnen – Kindheit, Schule, Welt erkunden. Wir werden zu Erstkläßlern, denen das Begreifen der Bilder und der ihnen beigeordneten Begriffe den Zugang zur Weit eröffnet. Lauter Fragen: Welches plastische Bild paßt in welche Form, welcher Begriff gehört zu welchem Objekt oder entspricht das Schriftbild dem Sinn? Unversehens sehen wir uns auch in die Grundfragen der Wahrnehmung, Ideenbildung und des Kunstverständnisses hineingezogen. Was ist die Wirklichkeit des Bildes, wenn ich ein Pferd als plastische Form aus einem Puzzle herausnehme und das Pferd dennoch als Negativform zurückbleibt? Was ist Erfindung, was Abbild und was Reproduktion?

Je länger ich darüber nachdenke, desto geschlossener und komplexer wird das System, das Froelich entwickelt: In den spielzeugartigen Figuren und Puzzles scheint das verträumte Spiel der Kindheit auf, mit den Druckbuchstaben, dem Tafellack und den Schautafein beschwört er die Erinnerung an die Schulzeit; die Schrifttafeln mit den beweglichen Lettern verweisen auf die Kirche und die in Reih und Glied aufgestellten Gußformen auf die Serienproduktion. Die Firmensymbole künden von der Warenweit, aber auch einer höchst vertrauten Symbolsprache, in der Bild, Name und Produkt ganz natürlich zusammenfallen. Das Banale erscheint als das Künstliche und das Künstliche wieder als das Industriell-Serielle. Alles ist mit großer Präzision hergestellt und in eine strenge Ordnung gebracht. Zwanghaft ist die Ordnung, wenn ich an die in Holzkästen eingepaßten oder in Glaswandschränken eingeschlossenen Pferde denke.

Alles, so scheint es, schwingt mit. Auch dies – daß wir über Caspar Hauser und Kindheit zu Columbus, Forster und Saussure gelangen: Welterkundung und Staunen über die Welt. Sie waren Pioniere und konnten sich auch nur tastend vorarbeiten. „Amerika gibt es nicht“ heißt eine Arbeit von Froelich. Für Columbus stimmte der Satz. Und wenn aus dem Weltkarten-Puzzle die Amerikaform herausgenommen ist, dann zweifeln wir selbst, ob das verbliebene Negativ als Blidform genügt, die Behauptung zu widerlegen.

Immer wieder umkreist Dieter Froelich die Frage nach dem Bild, nach der Identität von Bildern und Abbildern, von Objekten und Abgüssen, von Texten und Sinnbildern. Er fragt und behauptet. Aber so präzise seine Formen und Ordnungen sind, so wenig ist er ein Gestalter, der sich erklärt. Die Worte und Texte erläutern nichts. Sie sind einfach Bilder mit anderen Mitteln. Froelich sammelt die Bildmittel aus allen Lebensbereichen – aus der Küche und der Kirche, aus der Kindheit und der Welt der Expeditionen, aus der Schulzeit und der Industrie, aus der Geschichte, der Kunst und der Literatur, um zweierlei gleichzeitig zu erreichen: Er beschwört entfernt liegende Erlebnisräume und provoziert Neubestimmungen des Bildes.

Die kleinen Pferde tragen mit sich die Träume hinweg, auch wenn sie eingezwängt stehen bleiben. Jedes Pferd läuft in eine andere Richtung. Tatlins Rasierschale war vielleicht gar kein Irrtum. Eben darin liegt die Poesie.

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