documenta jedes Mal neu erfinden

Gespräch mit Roger M. Buergel über seine Ausstellungsplanung für 2007 – Zeitschrift geplant

KASSEL. Roger M. Buergel (41) ist ein Vermittler. Er hat nicht nur Ausstellungen konzipiert und organisiert, sondern er hat auch zahllose Kritiken, Porträts und Essays, vornehmlich für die Kunstzeitschrift Springerin, geschrieben. Dem Medium Zeitschrift vertraut Buergel auch in der Vorbereitungsphase der documenta12 (2007). Gemeinsam mit anderen Autoren und Künstlern arbeitet Buergel an einer Zeitschrift, die im Vorfeld der documenta erscheinen soll. Das sagte er in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Die Zeitschrift soll der eigenen Vergewisserung dienen, sie soll aber auch die an der Ausstellung Interessierten in die Planungsüberlegungen einbeziehen. Ein mögliches Thema für die Zeitschrift ist nach Buergel das Spannungsfeld zwischen der Moderne und der Lokalen Moderne. Er hält es für vorstellbar, am Beispiel so unterschiedlicher Länder wie Tadschikistan, Argentinien und Deutschland das Thema zu untersuchen. Es ist kein Zufall, dass Buergel sein Zeitschriften-Projekt in dem Moment vorstellt, in dem er gefragt wurde, mit wem zusammen er an der Ausstellungsvorbereitung arbeiten wolle. Bevor er schließlich sagt, dass er wahrscheinlich ein Kuratoren-Team bilden werde, spricht er von der Zusammenarbeit mit Künstlern. Die direkte Arbeit mit ihnen liebt er, auf ihren Erfolg setzt er, und er will auch Künstlern Projektverantwortung übertragen. Darin sieht er das Energiezentrum der Ausstellung. Erst danach kommt das Kuratorenteam. Zu dem wird auch seine Frau Ruth Noack gehören, mit der er schon viele Ausstellungen gemeinsam vorbereitet hat. Bilden sie eine Doppelspitze? Die Antwort lautet: Nein. Aber: Wir haben eine klare Arbeitsteilung… Meine Frau hat die Angewohnheit, mich in meiner Substanz infrage zu stellen. Heißt das, dass er Zweifel an seiner Aufgabe hat? Nein. Wenn ich Zweifel gehabt hätte, hätte ich die Aufgabe nicht übernommen. Buergel sieht zwei unterschiedliche Ansätze für seine documenta-Planung. Der eine ist die grandiose Tradition der Ausstellung, die von ihm abverlangt, ein Bild der Gegenwartskunst zu geben. Der andere liegt in seinem eigenen Kunstverständnis und in der Freiheit, dass die documenta jedes Mal neu erfunden wird. Der künstlerische Leiter der documenta12 will hinter die globale Öffnung der Ausstellung von 2002 nicht mehr zurück. Aber er denkt daran, Kunstlandschaften, die bisher gar nicht oder nur beiläufig berücksichtigt wurden, einzubeziehen Osteuropa und China beispielsweise. Bei der Auswahl der Künstler wird Buergel schon Unterschiede machen. Auf der einen Seite wird er Künstler einladen, die freie Hand haben werden, das zu zeigen, was ihnen wichtig erscheint. Dann wieder will Buergel bestimmte Projekte oder (historische) Positionen, also fertige Arbeiten, nach Kassel holen. Stärker, als das in der Vergangenheit der Fall war, will Buergel die Ausstellung in der sozialen Textur der Stadt verankern. Dabei scheint ihm sogar eine Ausweitung ins Stadtgestalterische im Sinne einer documenta urbana möglich. Das wäre das erste Mal, dass ein solcher architektonischer Impuls von der Ausstellungsleitung ausginge. Roger Buergel weiß, dass er sich im Zwiespalt befindet: Er mag eigentlich keine Großausstellungen, muss aber eine vorbereiten. Und wenn er seinen Vorbehalt gegenüber einem Ausstellungsort wie der ehemaligen Binding-Brauerei (Documenta11) wegen seiner Ausmaße formuliert, will er doch nicht ganz ausschließen, auch an solche Räume zu denken wenn man nicht merkt, dass sie groß sind.
HNA 20. 5. 2004

Bisher keine Idee für die documenta-Halle
Roger M. Buergel will mit den Kasseler Bürgern das Gespräch suchen – Erprobung in Barcelona

KASSEL. Die documenta-Halle ist zum ungeliebten Stiefkind der Ausstellungsmacher geworden. Nach Catherine David (1997) und Okwui Enwezor (2002) geht nun auch der documenta-Leiter für das Jahr 2007, Roger M. Buergel, auf Distanz zu dem Gebäude, das bei seiner Eröffnung 1992 so gefeiert worden war. In einem Gespräch mit unserer Redaktion (siehe auch Kultur) hatte Buergel betont, dass er sich in der Stadt noch näher umsehen müsse, bevor er entscheiden könne, welche Räume er nutzen wolle. Allerdings stünden die beiden klassischen Orte, das Museum Fridericianum und die Orangerie, fest auf seinem Plan. Gefragt, warum er in diesem Zusammenhang nicht die documenta-Halle genannt habe, zögerte Buergel, der sonst immer sofort eine Antwort weiß, lange. Endlich meinte er: Ich glaube, dass die documenta-Halle für vieles sehr schwierig ist. Aber, so räumte er ein, falls jemand eine zündende Idee habe, werde er sie gern nutzen. Immerhin hatten David und Enwezor die Halle gut bespielt, indem sie sie für kommunikative Projekte nutzten. Ähnliches wäre auch für 2007 denkbar, denn Buergel findet Davids Idee zu der Diskussionsreihe 100 Tage 100 Gäste ausgezeichnet. Nur meint er, dass man nicht jeden Abend reden müsse, es könnten ja auch Filme und Tanz-Performances vorgeführt werden. Das im Vorfeld der documenta12 wichtigste Projekt für Kassel könnte ein Diskussionsforum werden, in dem Buergel mit Kasseler Bürgern über sein Konzept und seine Vorstellungen sprechen will. Als Rahmen dafür stellt er sich ein Forum vor, wie es bei der Bewerbung um die Kulturhauptstadt gebildet wurde. Buergel wünscht sich solche Gespräche, weil er seine Ausstellung, die sich auch mit den Fragen der Stadt und der Urbanisierung auseinander setzen wird, in Kassel verorten will. Der documenta-Leiter weiß, dass das Vorhaben nicht einfach ist. Vor allem könnte die falsche Erwartung geweckt werden, nun könne man über die Inhalte der Ausstellung mitbestimmen. Aber Buergel hat bei seinen Ausstellungen in Lüneburg und nun bei einem Projekt für Barcelona Erfahrungen gesammelt, wie man im Vorfeld der Ausstellung mit Gruppen diskutieren könne. Trotz aller Schwierigkeiten, die er in Barcelona gesehen hat, überwiegen nach Buergels Ansicht die Vorteile: Die Kluft zwischen der Bevölkerung und der Ausstellung könne überbrückt werden. Zugleich könnten sich die Bürger durch ihre Beteiligung auf die Ausstellung und deren Werke vorbereiten. Aber so sagt er: Man braucht eine genaue Choreografie.
HNA 20. 5. 2004

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