Vorüberlegungen zur documenta 12 im Jahre 2007 – Weltumspannende Findungskommission
KASSEL. Die documenta schmückte sich in der Vergangenheit gern mit dem Titel Weltkunstausstellung. Doch sie war in den ersten vier Jahrzehnten vor allem eine europäische und später eine transatlantische Veranstaltung. Wohl erfolgte in den 90er-Jahren eine vorsichtige Öffnung nach Asien und Lateinamerika, doch erst die Documenta11 von Okwui Enwezor vollzog den Schritt zur Weltkunstschau. Die Gewähr dafür bot das von Enwezor zusammengestellte Kuratorenteam, das dank praktischer Erfahrungen auf allen Kontinenten zu Hause war. Dementsprechend global war die Künstlerauswahl. Die Kunst, die vielfältig die Globalisierung und deren Folgen reflektiert und kritisiert, ist selbst zu einer Vorreiterin der weltumspannenden Internationalisierung geworden. Dabei sind es nicht nur Künstler, die um den Globus reisen und Arbeiten entwickeln, die auf den jeweiligen Standort bezogen sind. Noch stärker gilt diese Tendenz für die Kuratoren (Ausstellungsmacher), die weltweit operieren und mal hier und mal dort eine Biennale mit organisieren. Selbst die Biennale von Venedig, die in früheren Jahren immer von Italienern dominiert war, hat sich, wie berichtet, global ausgerichtet. Die Berufung der elf Kuratoren unter Francesco Bonami garantiert, dass die Interessen aller Kulturkreise gewahrt werden. Damit forciert Venedig eine Entwicklung, die unter Catherine David und Okwui Enwezor in Kassel begonnen wurde. Für die documenta bedeutet das: Will sie ihren Führungsanspruch als internationale Ausstellung behaupten, dann kann sie nicht mehr hinter die Documenta11 zurück. Das mag mancher in Kassel bedauern, der gehofft hatte, eines Tages würde die inhaltliche Ausstellungsverantwortung wieder stärker zu dem Ursprungsort zurückkehren. Aber die Zeiten, in denen ein Freundeskreis die Strukturen für die documenta festlegte, sind vorbei. Rückblickend erstaunt, wie lange das Auswahlverfahren für die künstlerische Leitung der documenta von Zufällen gesteuert und improvisiert war. Oft genug waren die Verfahren auch schief gelaufen und führten erst im zweiten Anlauf zum Erfolg. Richtig stabilisiert und internationalisiert hat sich die Suche nach dem documenta-Leiter erst in den 90er-Jahren, als sich durchsetzte, jeweils eine achtköpfige Findungskommission zu berufen. In der Vorwoche ist, wie gemeldet, nun die Kommission zusammengestellt worden, die einen Vorschlag für die künstlerische Leitung der documenta 12 (2007) erarbeiten soll. Wiederum gehören der Kommission mit René Block (Kassel) und Ulrike Groos (Düsseldorf) nur zwei Deutsche an. Weitere Mitglieder sind Iwona Blazwick (London), Manuel Borja-Villel (Barcelona), Gavon Jantjes (Oslo) und Susanne Ghez (Chicago). Mit Anda Rottenberg (früher Kunsthalle Warschau) und Shinji Kohmoto (Kyoto) wurden erstmals Vertreter Osteuropas und Asiens in die Kommission einbezogen. Bis zum Jahresende soll die Entscheidung über die künstlerische Leitung gefallen sein. Bei der Auswahl geht es aber nicht nur um die Fähigkeit des künstlerischen Leiters zur globalen Sichtweise. Entscheidend ist, ob er wie David oder Enwezor einen thematischen Ansatz zur Spiegelung der zeitgenössischen Kunst und Kultur findet, der sich von dem der anderen Biennalen unterscheidet. Dabei wird natürlich die Frage eine zentrale Rolle spielen, ob Kassel auf den Blickwinkel eines Einzelnen setzt oder sich wie Venedig für die Vielfalt der Sichtweisen entscheidet. Nach dem Erfolg der Documenta11 mit dem Industriestandort in der Binding-Brauerei und nach der nochmaligen Ausweitung der Biennale in Venedig wird für das Konzept der documenta 12 auch die Suche nach zusätzlichen Räumen ein wichtiger Faktor sein.
HNA 9. 4. 2003