So richtig kapiert haben es viele noch nicht. Die einen waren innerlich nicht darauf vorbereitet, daß die Zeit jetzt schon, nur dreizehn Monate nach Ende der vorigen documenta, reif sein könnte für den nächsten documenta-Leiter. Und die anderen können es nur schwerlich fassen, daß die Verantwortung für die nächste Kasseler Kunstschau wirklich in einen anderen Teil der Welt vergeben wurde. Hatten nicht diejenigen, die noch immer von den Zeiten Arnold Bodes träumen, schon schwer genug daran tragen müssen, daß der Kasseler Einfluß auf die jüngsten documenten nahe Null ging?
Was den zeitlichen Ablauf angeht, so ist der schnelle Findungsprozeß nicht nur ein Verdienst der berufenen Kommission. Es zahlte sich aus, daß erstmals in der Findungsphase eine gut funktionierende Geschäftsführung im Amt war, die für den lautlosen Beratungsgang sorgen konnte. Ehe die Spekulationen richtig ins Kraut schießen konnten, wer die künstlerische Leitung übernehmen könnte oder ob überhaupt noch eine Ausstellung dieser Größe sinnvoll wäre, waren die Würfel gefallen. Das ist gut für die Stadt und noch besser für die Institution documenta.
Ebenso gut und vielversprechend ist das Ergebnis – die Berufung des 35jährigen Afro-Amerikaners Okwui Enwezor. Als Enwezor geboren wurde, wäre es undenkbar gewesen, daß in Kassel bei der documenta Kunst der sogenannten Dritten Welt gleichberechtigt neben den Werken der Moderne aus Europa und Nordamerika gezeigt worden wäre. Aber so, wie es in den 50er und 60er Jahren zwingend war, daß mit Arnold Bode ein Kasseler in seiner Stadt die Weltkunstschau positionierte, so kann morgen diese Ausstellung nur überleben, wenn sie aus dem weitläufigen internationalen Blickwinkel konzipiert wird. Schließlich gibt es nicht nur die Biennale von Venedig als Konkurrenz, sondern vergleichbare Projekte auf allen Kontinenten.
Das, was man zuerst als Verlust (an Einfluß) empfinden mag, ist ein Gewinn: Ein mit guten Empfehlungen ausgestatteter Ausstellungsmacher aus Nigeria und New York kommt nach Kassel, um von hier den Blick über die Kunstszenen der Welt zu wagen. In einer Zeit, in der wir noch nicht richtig wissen, welches eigentlich die Folgen der Globalisierung sind, hat Kassel die Chance, mit Hilfe der documenta XI die Globalisierungs-Perspektive modellhaft vorzuführen.
Allein diese Tatsache spricht für einen spannenden Entwicklungsprozeß. Noch ahnt niemand, wie die daraus erwachsende Ausstellung aussehen kann. Aber soviel ist klar: Okwui Enwezor ist nicht nur ein politisch und interdisziplinär denkender Kurator, sondern auch ein Mann, der sich ernsthaft auf den Ort einläßt, an dem er arbeiten will: Eine Stadtrundfahrt, das Stadtmuseum und das Stadtarchiv stehen als Punkte bei seinem nächsten Besuch auf dem Programm. Er beginnt vor Ort, um die Kunst der Welt zu zeigen. Das verspricht einiges.
HNA 31. 10. 1998
Gut für die Stadt
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