Mit großem Selbstbewußtsein geht der Afro-Amerikaner Okwui Enwezor an die Vorbereitung der documenta XI (2002). In Kassel stellte er sich unserer Redaktion zum Gespräch.
KASSEL Irgendwann im Verlaufe des Gesprächs meinte der in New York lebende Kurator Okwui Enwezor (35), wir seien doch immer noch sehr nah an der vorigen documenta von Catherine David. Mit dem Hinweis wollte er entschuldigen, daß er sich selbst mehrfach auf die viel diskutierte Ausstellung der Französin bezog, und auch erklären, warum wiederholt Fragen den Bezug zur documentaX herstellten.
Für Enwezor war die documenta 1997 mit einem Schlüsselerlebnis verbunden. Catherine David hatte ihn eingeladen, um in der Reihe „100 Tage – 100 Gäste“ über die Johannesburg Biennale zu referieren, für die Enwezor verantwortlich zeichnete. Dieses Diskussionsforum in der documenta-Halle faszinierte ihn so sehr, daß er schon unmittelbar nach seiner Berufung zum Leiter der documenta XI angekündigte, er wolle ein ähnliches Projekt angehen.
Doch Enwezor scheint noch mitten in der Auseinandersetzung mit der Ausstellung seiner Vorgängerin zu stecken. Er spart zwar nicht mit lobenden Worten, geht aber in einzelnen Punkten auch klarer auf Distanz als bei unserem ersten Gespräch. So meint er zwar anerkennend, die Diskussionsreihe habe auch auf die Ausstellung befruchtend gewirkt, doch empfindet er es als weniger glücklich, daß die „100 Tage – 100 Gäste“ nur einen Bruchteil des Publikums erreichten und daß die documenta auf diese Weise zwei Öffentlichkeiten produziert habe. Also sucht er nach einem Weg, der es erlaubt, ständige Ausstellung und Diskussion besser miteinander zu verbinden.
Auch in anderer Hinsicht will Okwui Enwezor die Akzente verschieben: Seine documenta wird (stärker als die vorige) auf die Kunst zurückkommen. Aber welche Kunst wird das sein? Die von documenta-Leiter Jan Hoet (1992) geäußerte Meinung, jeder Ausstellungsmacher trage in einem Rucksack „seine“ Künstler mit sich herum, läßt Enwezor für sich nicht gelten. Er trennt strikt zwischen seinen privaten Vorlieben und seinen Ansprüchen, die er als Ausstellungsmacher erfüllen will. Er will offen sein für neue Entdeckungen und auch neue Fragestellungen. Es zeigt sich, daß jetzt schon, im Planungsstadium, Enwezor dabei ist, sehr genau zu erkennen, wo in der Geschichte der documenta-Tradition der Platz seiner Ausstellung sein kann.
Während der documenta-Leiter sich in seinem ersten Gespräch eher auf die Fragen der Globalisierung und des interkulturellen Dialogs bezogen hatte, legte er nun die Akzente stärker auf die Kunst-Aspekte. Enwezor sieht es als eine Aufgabe der documenta an, die Kunst kritisch zu spiegeln. Allerdings dürfe sie nicht als politisches Forum mißbraucht werden. Wenn sie nach der Beziehung von Kunst und Kultur (Gesellschaft) frage, dürfe sie die Kunst nicht dafür benutzten; vielmehr müßten Fragestellung und mögliche Antworten aus den künstlerischen Beiträgen selbst kommen.
Okwui Enwezor ist und bleibt diplomatisch – verbindlich, freundlich und allgemein. Weder läßt er sich auf irgendwelche Künstlernamen ein noch gibt er zu erkennen, welchen Kreis von Beratern er um sich versammeln werde. Schließlich hat er ja noch dreieinhalb Jahre Zeit.
Daß er mit mehreren Kuratoren zusammenarbeiten will, steht so gut wie fest. Auch in der Frage, in welchen Gebäuden die documenta in Kassel zu erleben sein werde, blieb Enwezor allgemein. Während seines derzeitigen mehrtägigen Kassel-Aufenthaltes lerne er gerade die verschiedenen Möglichkeiten kennen; für eine Festlegung sei es zu früh. Immerhin zeigte er sich auch von einer Idee begeistert, der einst der documenta-Gründer Arnold Bode nachhing: Bode träumte zuletzt davon, Werke von documenta-Künstlern im Oktogon des Herkules zu zeigen.
Derzeit treibt Enwezor seine Vorarbeiten an der documenta von New York aus voran. Auch arbeitet er in Chicago an einem kulturhistorischen Ausstellungsvorhaben über die afrikanischen Befreiungsbewegungen, das im nächsten Jahr in der Münchner Stuck zu sehen sein wird. Für den Sommer hat er sich ein ganz anderes konkretes Projekt vorgenommen. Da will er für einen Monat nach Berlin gehen, um Deutsch zu lernen.
HNA 13. 1. 1999