Kunst-Verschwörung

Es ist Sommer und das Ungeheuer von Loch Ness lässt sich nicht blicken. Also hält man nach anderen Ungeheuern Ausschau. Und wenn keine weiteren mehr leben? Na, dann werden sich doch in der Vergangenheit welche ausmachen lassen. Einen ersten Jagderfolg kann Peter Iden in der Frankfurter Rundschau vermelden: Die Gründung der Kasseler documenta, so hat er erfahren, sei aus dem Geist des Wertesystems der Nato erfolgt“. Dieser schon früher aufgestellten Behauptung habe documenta-Leiter Okwui Enwezor in einem Interview der Zeitschrift Texte zur Kunst“ wie selbstverständlich zugestimmt. Doch nicht genug damit: Frances Stonor Saunders habe eine Untersuchung vorgelegt (die im Herbst in Deutschland erscheine), die unter anderem nachweisen wolle, dass mit der documenta Interessen der Amerikaner im Kalten Krieg verfolgt worden seien. Nach dem Stasi-Unheil nun die Kunst-Verschwörung der Nato, die gezielt die documenta instrumentalisierte? Iden scheint jedenfalls eine folgenschwere Diskussion zu erwarten und bittet schon, auch das Gute, was durch die documenta-Umerziehung erreicht wurde, zu berücksichtigen. Werden damit die Maßstäbe und viel gefeierten Werke der ersten documenta (auf der die Amerikaner und deren abstrakte Expressionisten noch gar nicht vertreten waren) außer Kraft gesetzt und wertlos? Muss die Kunstgeschichte umgeschrieben werden? Iden ist sich anscheinend nicht ganz sicher, auch wenn er sich Arnold Bode nicht als CIA-Agenten vorstellen kann. Doch bevor man mit dem Umschreiben anfängt, sollte man das Ungeheuer genauer ansehen. Dann stellt man nämlich fest, dass es ein altbekanntes Fossil ist: Es gibt kaum eine Veröffentlichung über die erste documenta, die sie nicht auch als eine Kunst-Manifestation gegen den Ostblock mit seinem Sozialistischen Realismus darstellte. Selbst die Ausstellungsmacher argumentierten offen mit dem Hinweis auf die damalige, nur 30 Kilometer entfernte Zonengrenze. Auch war es nie ein Geheimnis, dass die Bundeszuschüsse aus dem Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen kamen, also mehr politische als kulturelle Fördermittel waren. Neu an diesen Thesen ist nichts. Außerdem muss man wissen, dass gerade die Amerikaner in Bezug auf die Kunst der Moderne Verschwörungstheorien lieben.
HNA 5. 7. 2000

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