Der Vorlauf zur Documenta 11 wird keine leichte Kost. Allein die Plattform1 in Wien wird sich in fünf Diskussionsphasen mit der Frage nach dem Stand der Demokratie auseinander setzen.
Wer sich Schritt für Schritt, nach der von Okwui Enwezor entwickelten Dramaturgie der Documenta 11 nähern und an allen öffentlichen Diskussionsphasen teilnehmen will, muss große Reiselust und viel Zeit mitbringen. Vor allem aber muss er sich erst einmal mit dem gesellschaftlich-politischen Bedingungen, unter denen Kunst entsteht, beschäftigen. Vor dem Blick auf die Kunst kommt bei der ersten von fünf Plattformen (ab 15. März in Wien) die Auseinandersetzung mit dem Wesen und den Aspekten der Demokratie. Die nächsten Plattformen finden in Neu-Delhi (Mai), auf den Westindischen Inseln (November)und in Lagos/Nigeria (März 2002) statt. Die fünfte und letzte Plattform ist nach den Diskussionsrunden dann die Ausstellung ab 8. Juni 2002 in Kassel. Rund 20 Politologen, Rechtsexperten, Literatur- und Kunstwissenschaftler aus der ganzen Welt sind als Referenten für die Wiener Plattform eingeladen worden, die unter dem Motto Demokratie als unvollendeter Prozess steht. Zu den Referenten gehört Angela Davis, die Anfang der 70er-Jahre durch einen politischen Prozess berühmt wurde und heute Professorin in Santa Cruz ist. Die Diskussionsprozesse werden in fünf Runden in der Zeit vom 15. März bis 21. April absolviert. Folgende Schritte sind geplant: Demokratie als unvollendeter Prozess Alternativen, Grenzen und Neue Horizonte (15.-17. März); Demokratie, Justiz, Minderheiten und Menschenrechte (23.-24. März); Dialektik der Souveränität: Nationen, Bürger, Subjekte (30-31. März); Counter Politics Direkte Aktion, Widerstand und Bürgerlicher Ungehorsam (6.-7. April); Zusammenfassung (20.-21. April). Okwui Enwezor, künstlerischer Leiter der Documenta 11, sieht sich mit diesem Ansatz in der Tradition der documenta-Geschichte. Schon die erste Ausstellung im Jahre 1955 sei im Zusammenhang mit der Frage nach dem politischen und sozialen Weiterleben entwickelt worden. Angesichts der Globalisierung und des Vorsatzes, die Kulturen in einen Dialog zu bringen, sieht Enwezor die Notwendigkeit, systematisch zu untersuchen, wie in den verschiedenen Ländern die Demokratie-Konzepte umgesetzt worden seien. Nur aufgrund solcher Untersuchungen, so lautet seine Position, könne man auch die jeweilige Kunst verstehen. Der Documenta 11 eilen also weltumspannend gesellschaftlich-kulturelle Diskussionsforen und Symposien voraus. Die späteren Ausstellungsbesucher (in Kassel) werden sie nur aus der Distanz, bestenfalls im Internet, verfolgen können. Die aktive Teilnahme an allen Plattformen werden sich nur die Mitglieder des Planungsteams erlauben können. Um so wichtiger wird dann die Frage, ob sich die Ergebnisse auch praktisch und nachvollziehbar in der Ausstellung niederschlagen: Müssen die Papiere (und möglicherweise Bücher) zu den Plattformen studiert werden, oder können die Besucher aus der Auswahl der Werke auf die Befunde schließen, zu denen die Diskussionsrunden geführt haben?
HNA 27. 1. 2001
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