Zauber und Legende des Meisterhaften

Das Gastspiel des Museums of Modern Art in der Neuen Nationalgalerie Berlin

BERLIN. Die Frage, ob oder inwieweit Deutsche und Amerikaner miteinander auskommen, stellt sich vor dem Hintergrund der Kunst nicht. Die moderne amerikanische Kunst ist ohne die deutschen Vorbilder aus den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nicht denkbar. Umgekehrt übte die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den USA zurückflutende Kunst großen Einfluss auf alle Sparten der Kunst in Deutschland aus. Die Vertreibung der Moderne aus Deutschland in der Nazi-Zeit hat indirekt diese Wechselwirkung noch verstärkt. Auch das 1929 gegründete Museum of Modern Art (MoMA) in New York ist ein Kind dieser transatlantischen Kunstachse. Alfred H. Barr, der als 27-Jähriger mit dem Aufbau des Museums begann und es 37 Jahre lang prägen sollte, fand in Deutschland Ratgeber zur Umsetzung seines Konzepts. Vor allem lernte er durch die berühmteste Kunstschule des 20. Jahrhunderts, das Bauhaus, das umfassende Denken und Gestalten der Moderne kennen. Deshalb fasste er den pionierhaften Entschluss, in seinem Museum neben Malerei, Grafik und Skulptur auch Architektur, Design, Film und Fotografie zu dokumentieren. Es ist bedauerlich, dass dieses weitsichtige Konzept in der Berliner Ausstellung selbst nicht sichtbar wird. Die Hinweise darauf muss man sich auf den Texttafeln und im Katalog zusammensuchen. Die Veranstalter setzten ganz auf die Publikumsmagneten, die Meisterwerke der Malerei und Skulptur. Die Warteschlangen, die sich täglich vor der Nationalgalerie bilden (bis zu zweieinhalb Stunden Wartezeit), scheinen die Strategie zu bestätigen. Die rund 200 Meisterwerke, die da versammelt sind, weil das MoMA mal wieder erweitert wird, üben ihren Zauber aus und locken die Scharen an. Allerdings würde man eine Legendenbildung fördern, wollte man behaupten, nur durch diese Schau könne man bei uns die moderne Kunst seit 1880 anhand von herausragenden Werken kennen lernen. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf) und das Museum Ludwig (Köln) beispielsweise verfügen zusammen über Bestände, die sich dem Vergleich stellen können. Unvergleichlich allerdings waren die Mittel, die dem New Yorker Museum dank der Mäzene und Stifter zur Verfügung standen. Nur sie machten den Aufbau einer so hochrangigen Sammlung in relativ kurzer Zeit möglich. Was an der Ausstellung gefällt, ist die Tatsache, dass sie nicht nur Meisterwerke und Schlüsselwerke der Moderne vereinigt. Die Gemälde und Skulpturen wurden so ausgewählt und gruppiert, dass sie die Entwicklungslinien der Kunst sichtbar machen und dokumentieren, wie das Museum die Werke in Ausstellungen aufgearbeitet hat. Die Schau ist reich an Höhepunkten. Eines der großartigsten Erlebnisse vermittelt die über 12 Meter breite, aus drei Bildern bestehende malerischeVision, die Claude Monet um 1920 von seinem Seerosenteich schuf. Das Herz der Ausstellung bildet die Gegenüberstellung der beiden Künstler, die im 20. Jahrhundert am folgenreichsten wirkten Pablo Picasso und Henri Matisse. Immer wieder bezaubernd ist Der Tanz von Matisse. Voller Spannung sind auch die Gegenüberstellungen der ersten kubistischen Kompositionen und Collagen, die Picasso und Georges Braque gleichzeitig schufen. Ebenso grandios ist der Vierklang der Wandbilder, die Wassily Kandinsky 1914 malte. Es ist sicher eine Verbeugung vor den Gastgebern, dass an dem einen Ende der Ausstellung der 15-teilige Gemäldezyklus 18. Oktober 1977 des Deutschen Gerhard Richter zu sehen ist. In diesen Bildern versuchte Richter, den Höhe- und Endpunkt der Terrorwelle der Roten Armee Fraktion auf der Grundlage von Fotos aufzuarbeiten. Die beklemmend wirkenden Bilder von den toten Terroristen der Baader-Meinhof-Bande und ihren Zellen führen in die Wirklichkeit zurück und lassen nebenbei die Nachhaltigkeit der Malerei deutlich werden.
HNA 27. 2. 2004

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